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Der aktuelle Stand der Entnazifizierung (31. Dezember 1950)

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Kritiker des Entnazifizierungsprogramms weisen ebenfalls auf die Präsenz ehemaliger Nazis in wichtigen Positionen und im öffentlichen Leben allgemein hin. Es stimmt, dass es viele ehemalige Nazis in öffentlichen Ämtern gibt. Viele sind Lehrer, Postboten, Polizisten. Einige wenige bekleiden höhere Ämter, sogar in den Regierungen der Länder und des Bundes. Viele Geschäftsmänner in wichtigen Positionen waren einmal Mitglieder der Nazi-Partei. Millionen ehemaliger Nazis sind wiedereingestellt, die meisten von ihnen in ihren früheren Berufen. Dies sind jedoch, mit wenigen Ausnahmen, Personen, die von den Entnazifizierungsgerichten als lediglich nominelle Parteimitglieder eingestuft wurden, die nicht persönlich in die kriminellen Machenschaften der Partei verwickelt waren oder Personen, deren Verwicklung in solche Machenschaften auf dem Rechtsweg abgebüßt wurde.

Wenn entlastete Nazis mit aktiver Vergangenheit bei der Entlastung zu gut davongekommen zu sein schienen und wieder in verantwortlichen Berufen eingesetzt waren, wurden Maßnahmen ergriffen. Ein solcher Fall war derjenige der wiedereingesetzten Lehrer in Württemberg-Baden (US-Zone), die während des Naziregimes hohe Positionen innegehabt hatten. Als die Situation dieses Jahr bekannt wurde, hielten US-Beamte den Bildungsminister dazu an, sie noch einmal zu überprüfen und Entlassungen einzuleiten, wo die Tatsachen es rechtfertigten. Im Laufe des November unterstrich der US-Hochkommissar den amerikanischen Standpunkt, indem er vor den Ministerpräsidenten der US-Zone erklärte, dass es enthusiastischen Propagandisten der Nazidoktrin nicht erlaubt werden dürfe, die junge Generation des demokratischen Deutschland zu unterrichten. Obwohl alle ehemaligen Nazifunktionäre, die als Lehrer wiedereingestellt wurden, vom Ministerpräsidenten Württemberg-Badens begnadigt worden waren, drängte der Hochkommissar im letzten Jahresviertel weiter auf ihre Amtsenthebung. Es bleibt außerdem das Vorrecht der Alliierten Hohen Kommission, in Fällen der Einsetzung in hohe Ämter von Personen, die gefährlich für die alliierten Ziele in Deutschland sind, zu intervenieren.

Tatsächlich war es eine der grundlegenden Absichten des Entnazifizierungsgesetzes, so bald wie möglich die Wiedereingliederung der großen Masse nomineller und kleiner Nazis in die deutsche Gesellschaft zu ermöglichen. Es wäre undenkbar und unvertretbar gewesen, zu versuchen, fast 8 Millionen ehemalige Mitglieder der Nazi Partei selbst – zusammen mit ihren Angehörigen vermutlich etwa 30 Millionen Menschen – aus der Gemeinschaft auszugrenzen oder sie als Ausgestoßene zu belassen. Mit sehr wenigen Ausnahmen wurden die ehemaligen Nazis, die jetzt Positionen von irgendwelcher Bedeutung innehaben, „entnazifiziert“. Mit anderen Worten, sie wurden durch Rechtsverfahren dafür qualifiziert, ihre jetzigen Ämter zu bekleiden. Dass es besser wäre, wenn gewisse Individuen dem öffentlichen Leben fern blieben, kann nicht bestritten werden. Viele Deutsche würden sie lieber nicht in den Positionen sehen, die sie jetzt innehaben. Teile der demokratischen deutschen Presse haben sich unmissverständlich gegen bestimmte Ernennungen in öffentlichen Ämtern ausgesprochen. Sobald solche Personen jedoch rechtmäßig ernannt worden sind und ohne rechtliche Grundlage für ihre Entfernung, kann und sollte generell nichts getan werden als auf das demokratische System zu vertrauen, das in Deutschland geschaffen worden ist, um sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Keine Demokratie ist perfekt; einer neuen mögen vielleicht mehr als ihre normale Zahl an Problemen erlaubt sein. Sich von außen in sie einzumischen wird in vielen Fällen mehr Schaden anrichten als Gutes tun. In allen Fällen muss die Intervention bedächtig abgewogen werden, da sie der offensichtlichen Gefahr gegenübersteht, das System im Vertrauen der Menschen, denen es dient zu untergraben.

Es gab Beispiele für die Rückkehr ehemaliger Nazis in ihre Ämter, über die in den Medien ausführlich berichtet wurde. Aber das Gegenteil ist ebenso wahr, wie durch den Fall eines ehemaligen Beamten eines Bundesministeriums illustriert wird. Die Nazivergangenheit dieses Beamten wurde öffentlich gemacht und in Einzelheiten in einem Pamphlet aufgedeckt, das vom Deutschen Gewerkschaftsbund verbreitet wurde, in dem es um die Rückkehr von Ex-Nazis in ihre Ämter ging. Der Beamte trat von seinem Posten zurück, um eine einstweilige Verfügung gegen die Verbreitung dieses Pamphlets zu erwirken, sein Ersuchen wurde jedoch vom Gericht abgelehnt. In diesem Fall zwang die deutsche Meinung einen ehemaligen Nazi aus dem Amt, eine Handlung, die weitaus heilsamer ist, als der Verweis solcher Personen durch das Beharren der Besatzungsbehörden. Letztlich wird der Nazismus nur dann aus Deutschland fernbleiben, wenn das deutsche Volk ihn ablehnt und auch weiterhin untersagt, wenn die Besatzungsmächte fort sind.

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