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Ernst Dronke über Volkstheater, bürgerliches Theater und die königliche Bühne in Berlin (1846)

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Unter dem verstorbenen König war es bekanntlich das Ballett, welches sich vorzugsweise eines hohen Aufschwungs rühmen konnte. Es war eine der kleinen und harmlosen Vergnügungen des Hochseligen, die er ungern selbst an Orten, wo es kaum der Aufenthalt gestattete, vermissen wollte. Auf den Privatbühnen, im Palais und in Potsdam waren die Tänzerinnen die Königinnen des Tages oder vielmehr der Nacht, und selbst in den großen Proben des Opernhauses wurde ihnen nicht selten die Ehre des Besuches des gekrönten Kenners zuteil. Es muß einen eigenen Anblick gewährt haben, den alten Herrn dort mit seinem treuen Begleiter, dem General v. Witzleben – wie er gewöhnlich zu tun pflegte, auf dem Souffleurkasten sitzend – die Attitüden der leichten Amoretten studieren zu sehen. Erwarben sie sich seine besondere Zufriedenheit, so ward ihnen wohl auch eine besondere Ehre noch zugedacht. Im königlichen Palais befand sich ein alter Biedermann, der Kämmerer Timm, der vortreffliche Weine und die ausgesuchtesten Leckerbissen auf seiner Tafel führte. Dieser Herr Timm lud dann zuweilen einzelne der Kleinen auf den Abend zu sich ein. Da man wußte, was diese Auszeichnung zu bedeuten hatte, so war dieselbe stets ein Gegenstand des ehrgeizigen Neides. Saßen sie nun in bester Stimmung bei Papa Timm, so öffnete sich plötzlich die Türe, und ein Zufall führte den König herein. Der freundliche alte Herr wollte durchaus nicht stören, und gewöhnlich blieb er bis nach Mitternacht in dem aufgeräumten Kreise. Manche Gnadengesuche wurden hier durchgesetzt, manche Unterstützungen für heiratslustige Liebespaare oder anstellungsfähige Kandidaten wurden hier bewilligt, wenn die Petenten so glücklich waren, eine der geflügelten Favoritinnen zur Protektion zu haben. Diese beschaulichen Zeiten sind vorbei, und die Epoche des neuen Regiments ist auch in der Theaterchronik verzeichnet. Die Toga des Sophokles hat die Trikots verdrängt. Man erzählt, der damalige Kronprinz habe eines schönen Tages seine Gemahlin mit den Worten getröstet: „Sei ruhig, mein Kind! Mein Vater läßt sie springen, wir wollen sie laufen lassen!" Gewiß, die Ärmsten hatten eine Ahnung von ihrem Schicksal, sie liebten darum ihren Gönner nicht wenig. Bei dem Leichenbegängnis folgte eine lange Reihe von Wagen, darin die verlassenen Flügelgöttinnen saßen und weinend die Beinchen hängen ließen.

Unter dem vorigen König also blühte das Ballett, doch galt die Berliner Bühne auch in betreff des rezitierenden Schauspiels und der Oper für die erste in Deutschland. Berlin war das Ziel jedes Künstlers von Ehrgeiz, und wir haben wohl nicht nötig, die Namen eines Ludwig Devrient, Iffland, Lemm, Krüger, Seydelmann zu zitieren. Jetzt ist das Ballettpersonal auf einen sehr bescheidenen Etat reduziert. Aber dafür hat man wohl desto mehr für Schauspiel und Oper verwendet? Wir werden sehen.

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