GHDI logo

Bismarcks Rede zur „Polenfrage” vor dem preußischen Abgeordnetenhaus (28. Januar 1886)

Seite 6 von 6    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Eine zweite Erklärung für den Fortschritt der Polen liegt in der Leichtigkeit, die sie für die Agitation durch die Einführung der Reichsverfassung und der Reichsgesetze über Presse und Vereine gewonnen haben. Die polnischen Herren sind nicht schüchtern gewesen in der Ausbeutung aller der Gesetze, die im Deutschen Reiche und in Preußen gegeben waren. Sie erkennen sie ihrerseits nicht an; sie erkennen ihre Zugehörigkeit zu Preußen nur auf Kündigung und zwar auf vierundzwanzigstündige Kündigung an; wenn sie heute Gelegenheit hätten, gegen uns vorzugehen, und stark genug wären, so würden sie nicht einmal gegen vierundzwanzigstündige Kündigung, sondern ohne Kündigung losschlagen. (Große Unruhe bei den Polen.) — Ja, meine Herren, ist einer von Ihnen, der sein Ehrenwort darauf geben kann, daß das nicht wahr ist (Große Heiterkeit), daß alle die Herren zu Hause bleiben werden, wenn die Gelegenheit sich bietet, mit ihren Banderien auszurücken — dann will ich meine Behauptung zurücknehmen; aber das Ehrenwort verlange ich. (Heiterkeit.) Und daß Sie mir einreden wollen, das wäre ein Irrtum — meine Herren, so dumm sind wir wirklich nicht, ich wenigstens nicht. (Heiterkeit.)

[ . . . ]

Dann hat ihnen die Reichsverfassung eine starke Anlehnung an verschiedene Parteien gegeben, die ihrerseits ebenfalls bereit sind, die Regierung unter allen Umständen zu bekämpfen; in dieser Negative findet sich ja eine beträchtliche Anzahl, unter Umständen sogar die Majorität im Reichstag zusammen, eine Majorität, die ganz unfähig ist, eine positive Regierung zu bilden, eine Majorität, deren leitende Prinzipien in den letzten Fällen, die vorlagen, von der polnischen und von der sozialdemokratischen Fraktion bestimmt wurden und allenfalls noch von den übrigen — ich kann wohl sagen fenischen, nihilistischen Fraktionen —, womit ich keine kränkende Bezeichnung brauchen will; ich meine nur eine Fraktion, die unter allen Umständen die jetzige Regierung nicht nur, sondern die jetzigen Reichseinrichtungen negiert [ . . . ] wer nicht mitarbeiten will an dem Staat zu seinem Schutz, der gehört nicht zum Staat, der hat keine Rechte an den Staat; er soll weichen aus dem Staat. So barbarisch sind wir nicht mehr, daß wir die Leute austreiben, aber es wäre eigentlich die gerechte Antwort gegen alle diejenigen, die den Staat und seine Einrichtungen negieren, daß ihnen auch ihrerseits der staatliche Schutz in allen Beziehungen entzogen würde, desjenigen Staates, den sie negieren. Das nannte man im alten Deutschen Reich: Bann und Acht; es ist ein hartes Verfahren, zu dem wir heute zu weichmütig sind. Aber es ist kein Grund, denjenigen Rechte am Staat einzuräumen, die ihrerseits alle Pflichten negieren. Diese Anlehnung an andere Parteien bedingt gerade die verhältnismäßige Gefährlichkeit, die ich der polnischen Opposition zuschreibe. Wenn die zwei Millionen ganz allein ständen, würde ich sie nicht fürchten, zumal unter der Million Oberschlesier doch die Feindseligkeit gegen den Preußischen Staat nicht so entwickelt ist wie die Leiter der Agitation es wünschen; aber in der Anlehnung an andere Staaten, an andere Parteien, die auch den Staat negieren und die ihn auch bekämpfen, da bilden sie eine erkleckliche Macht, eine Majorität, von der ich für die weitere Entwicklung des Deutschen Reiches wenig Heil in Zukunft erblicken kann.

[ . . . ]



Quelle: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses, 14. Legislaturperiode 1885/88, I. Session, Bd. 1, 8. Sitzung, Berlin, 28. Januar 1886, S. 164ff.

Abgedruckt in Otto von Bismarck, Werke in Auswahl. Jahrhundertausgabe zum 23. September 1862, Hg. Gustav Adolf Rein et al., 8 Bde., Bd. 7, Reichsgestaltung und Europäische Friedenswahrung, Teil 3, 1883-1890, Hg. Alfred Milatz. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, S. 352-78.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite