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Bismarcks Rede zur „Polenfrage” vor dem preußischen Abgeordnetenhaus (28. Januar 1886)

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Seit 1866 haben wir vom Auslande her eine Unterstützung der polnischen Bestrebungen bei uns nicht weiter zu erleben gehabt, vielleicht deshalb, weil wir stärker geworden sind, als wir damals waren, vielleicht deshalb, weil Frankreich, das das Hauptinteresse an der Wiederherstellung Polens hatte — weil eine polnische Armee immer ein französisches Korps an der Weichsel sein würde — weil Frankreich einstweilen in der Politik andere Gedanken hat als die polnische Frage; das Ziel seiner Gedanken liegt viel näher: es denkt mehr an Deutschland, es denkt direkt an uns, während es früher indirekt dachte. Es sind keine französischen Bestrebungen, wie sie unter Kaiser Napoleon, wie sie unter Louis Philipp ziemlich harmlos stattfanden, zu Gunsten Polens weiter im Auslande bemerkbar gewesen; auch ist die europäische Politik durch die Ereignisse von 1866 und 1870 hinreichend beschäftigt gewesen, um auf Polen nicht einzugehen.

Trotzdem ist aber der Kampf ums Dasein zwischen den beiden Nationen, die auf dieselbe Scholle angewiesen sind, unvermindert, man kann sagen, mit verstärkten Kräften fortgeführt. Die Zeit der Ruhe ist auf polnischer Seite keine Zeit der Versöhnung und des Einlebens gewesen, und das Eigentümliche ist, daß in diesem Kampf nicht etwa, wie man im Auslande vielfach glaubt und wie unsere Optimisten meinen, die deutsche Bevölkerung die Siegerin ist und der Germanismus fortschreitet, sondern umgekehrt; die polnische Bevölkerung macht ganz zweifellose Fortschritte und man fragt sich, wie das bei der angeblich so großen Unterstützung, die das deutsche Element von seiten der Regierung hat, möglich ist. Ja, meine Herren, vielleicht lehrt das noch, daß die Unterstützung, die die Polen von seiten der Opposition haben, stärker ist wie dasjenige, was die Regierung nach der heutigen Verfassung leisten kann; aber die Tatsache, daß die Polen von sich sagen können: Vexilla regis prodeunt, unsere Fahnen rücken vor — die ist ja ganz unzweifelhaft.

Wenn man über die Gründe dafür nachdenkt, so fällt mir vorzugsweise die damalige katholische Abteilung ein, die ihrerseits schließlich bis zu ihrer Aufhebung nach meiner unmittelbaren Erfahrung, die ich als Ministerpräsident zu machen Gelegenheit hatte, rein den Charakter eines polonisierenden Organes innerhalb der preußischen Verwaltung hatte. (Unruhe im Zentrum und bei den Polen.) Sie war unter der Leitung des Herrn Krätzig, von dem ich hoffe, daß er noch lebt, ein Institut in den Händen einiger großer polnischer Familien geworden, in deren Dienst sich diese Behörde behufs Polonisierung in allen zweifelhaften deutsch-polnischen Distrikten gestellt hat. Deshalb trat mir die Notwendigkeit nahe, auch meinerseits den Anträgen auf Aufhebung dieser Abteilung zuzustimmen, und das ist eigentlich der Grund, aus dem ich überhaupt in den Kulturkampf geraten bin. Für meine persönliche Auffassung hätte es wohl gar keinen Kulturkampf gegeben. (Lebhafter Widerspruch im Zentrum.) — Ja meine Herren, was Sie dagegen sagen können — ich lasse Ihnen Ihre Zweifel daran; es wird einige Leute vielleicht geben, die mir glauben, es ist mir aber ziemlich gleichgültig, ob mir überhaupt jemand glaubt; aber ich habe doch das Bedürfnis, jedem, der sich darüber informieren will, meine persönliche Meinung zu sagen.

Wer mich in den Kulturkampf hineingezogen hat, das ist Herr Krätzig, der Vorsitzende der katholischen Abteilung, derjenigen Abteilung, die innerhalb der preußischen Bürokratie die Rechte des Königs und der Kirche zu wahren gebildet war, die aber ausschließlich eine Tätigkeit in der Richtung entwickelte, daß sie die Rechte der römischen Kirche sowohl, wie namentlich aber die polnischen Bestrebungen gegenüber dem König mit seiner Autorität und unter seinem Siegel wahrnahm. Und deshalb mußte sie aufgelöst werden. (Oho! im Zentrum und bei den Polen.)

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