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Bismarcks Rede zur „Polenfrage” vor dem preußischen Abgeordnetenhaus (28. Januar 1886)

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Der Glaube, sich mit den Polen einleben zu können, und die Abneigung, die Schwierigkeiten davon zu untersuchen, gewannen auch einen Anhalt in der Tatsache, daß man in Schlesien mit einer Million polnisch redender Untertanen ohne jede Schwierigkeit lebte, sowie in der Erinnerung an die Zeit vor 1806, in der die Leidenschaften international nicht in dem Maße aufgeregt waren, in der ein sozial erträgliches Verhältnis zwischen Deutschen und Polen stattfand, vielfacher Verkehr der Polen hier in Berlin und in der Gesellschaft.

Diese Art von Vertrauensseligkeit wurde plötzlich gestört durch den Aufstand in Warschau von 1830 und durch das Auftauchen einer polnischen Frage im europäischen Sinne unter Beteiligung und Mitwirkung anderer Nationen, die seitdem nicht wieder von der Bildfläche vollständig verschwunden ist.

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König Friedrich Wilhelm III. war diesem [von Flottwells] Gedanken zugänglich, und es wurde von seiten des Königs und des Finanzministers eine nicht sehr erhebliche Summe bewilligt, für welche Güter aus polnischen Händen aufgekauft wurden, um sie zur Vermehrung der deutschen Bevölkerung in der Provinz weiter zu veräußern. Wenn auch diese Operationen nicht überall und in jedem einzelnen Fall und mit Geschick und namentlich späterhin auch nicht unter Festhaltung der ursprünglichen Bestimmung betrieben worden sind, so haben sie doch, solange dieses System das herrschende in der Verwaltung war, einen erheblichen Zuwachs der deutschen Bevölkerung geschaffen.

Das System wurde aber außer Kraft gesetzt, als im Jahre 1840 der hochselige König zur Regierung kam, der seinerseits der Meinung war, daß die wohlwollenden Gefühle, welcher Er für Seine polnisch sprechenden Untertanen hatte, das Vertrauen, welches Er zu ihnen hatte, auf der anderen Seite durch analoge Gefühle vollständig erwidert würde, und der in diesem Glauben bestärkt wurde durch eine Rundreise, die er bald nach seiner Thronbesteigung in der Provinz bei den hervorragendsten Edelleuten der polnischen Nation machte; er glaubte — ein altes Sprichtwort sagt: „Zutrauen bewirkt Edelmut“ —, man habe die Polen nur unschuldig gekränkt, sie würden treue Untertanen ihres wohlwollenden Königs sein, wenn man ihnen mit Vertrauen entgegenkäme, und die Wohltaten der preußischen Regierung im Vergleich mit den Zuständen, in denen sich die Bevölkerung früher befand — ja, ich kann, ohne unsere Nachbarn zu verletzen, wohl sagen, in denen sich auch die jenseits der Grenze lebenden Polen befanden —, würden allmählich die Herzen gewinnen.

Der hochselige König wurde aus diesen vertrauensvollen Empfindungen in einer gewissen unangenehmen Weise gestört durch die insurrektionellen Bewegungen, die vom Jahre 1846 bis 1848 in den verschiedensten Phasen stattfanden. Er mußte erleben, daß im Jahre 1848 auf den Barrikaden von Berlin ein Bündnis zwischen der preußischen und ausländischen Demokratie und den Polen geschlossen wurde, was zur Folge hatte, daß kurze Zeit darauf mehrere tausend preußische Untertanen, teils polnisch-, teils deutschredende, im Großherzogtum Posen in gegenseitigen Kämpfen erschossen oder verwundet wurden. Indessen das Ergebnis der damaligen Ereignisse war doch immer ein gesetzlicher Zustand, der den polnischen Bestrebungen dieselbe Freiheit der Bewegung verfassungsmäßig und gesetzmäßig verschaffte, welche den deutschen Untertanen gewährt war. Die Freiheit der Bewegung aber, die die Polen gewannen auf dem Gebiete des Vereinsrechts, der Presse und des Verfassungslebens, hat in keiner Weise dazu beigetragen, ihr Wohlwollen und Entgegenkommen für Deutschland zu vermehren; im Gegenteil, wir sehen als Frucht davon nur eine Verschärfung der nationalen Gegensätze, das heißt eine einseitige Verschärfung auf der polnischen Seite. Der Entwicklung derselben kam die Eigentümlichkeit des deutschen Charakters in manchen Hinsichten entgegen, einmal die deutsche Gutmütigkeit und Bewunderung alles Ausländischen, eine Art von Neid, mit dem unsere Landsleute denjenigen betrachten, der im Auslande gelebt und gewisse ausländische Allüren angenommen hat, und dann auch die deutsche Tradition, die eigene Regierung zu bekämpfen, wofür man in den Polen immer bereite Bundesgenossen zu finden sicher war (Hört, hört! rechts), endlich die eigentümliche Befähigung des Deutschen, die sich bei keiner anderen Nation wiederfindet, aus der eigenen Haut nicht nur heraus-, sondern in die eines Ausländers hineinzufahren (Heiterkeit) und vollständig Pole, Franzose oder Amerikaner, kurz und gut etwas der Art zu werden. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit: die populärsten Melodien in Berlin, die ich gelernt habe, waren polnische vom alten Feldherrn*:

„Denkst du daran, mein tapferer Lagienka; (Heiterkeit.)
Fordere niemand mein Schicksal zu hören;
Mein Vaterland . . .“



* Vom Holtei.

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