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Helmuth James Graf von Moltkes Denkschrift an Hans Wilbrandt und Alexander Rüstow über die Zustände in Deutschland sowie den Warschauer Ghettoaufstand (9. Juli 1943)

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Die Münchner Studentenunruhen.

Berichte über die jüngsten Studentenunruhen an der Universität München weisen darauf hin, dass ihr Ausmaß weit größer war, als in den ersten Berichten, die die Außenwelt erreichten, angedeutet worden war. Die von der Gestapo ausgeführten umbarmherzigen Maßnahmen rühren vom gefährlichen Ausmaß der Unruhen her. Prof. Huber von der Universität München ist nicht erschossen oder enthauptet worden, wie im britischen Radio berichtet wurde; er ist noch am Leben und wird von der Gestapo langsam zu Tode gefoltert.

Die katholische Bewegung in Deutschland.

Das Wiederaufleben des Katholizismus in Deutschland breitet sich in erstaunlicher Weise aus. Der Besuch des Gottesdienstes ist der einzige Weg, stillen Protest auszudrücken, und die Kirchen können kaum die riesigen Versammlungen fassen. Die deutschen Bischöfe genießen eine ungemeine Popularität, besonders Graf Preysing, dem ähnliche Ovationen entgegengebracht werden wie Graf Galen.

Es ist von hoher Bedeutung, dass nach jüngsten Berichten im Schnitt 30 % der katholischen Schuljungen, die kurz davor stehen, ihren Schulabschluss (Abitur) zu machen, wenn sie auf die übliche Weise nach beabsichtigten Karrieren gefragt werden, angeben, sie wollen Theologie studieren und Priester werden. Besondere Aufmerksamkeit zieht ein Fall auf sich, der sich an einem Gymnasium (klassisch ausgerichtete Sekundärschule für Jungen) in Stettin ereignete, wo alle außer drei jungen Männern, die sich jeweils für Jura, Landwirtschaft und die Armee entschieden hatten, angaben, dass sie Theologie studieren und die Priesterweihe empfangen wollten. Infolgedessen wurden alle Schüler des Gymnasiums auf Befehl der Gestapo festgenommen und in Haft behalten. Diese Fälle betreffen Jungen im Alter von 15 bis 17. Es handelt sich nicht nur um lokale Vorkommnisse, sondern ähnliche Berichte kommen aus allen Teilen des Reiches.

Die Schlacht im Warschauer Ghetto.

Betreffs der Kämpfe, die sich letzten Mai im Warschauer Ghetto ereigneten, sind jetzt folgende Details verfügbar:

Annähernd 30.000 – 50.000 im Warschauer Ghetto internierte Juden hatten monatelang hart daran gearbeitet, ihre Baracken und Steinhäuser in ein Abwehrsystem zu verwandeln und hatten unterirdische Gänge gegraben, die das Ghetto mit der Stadt außerhalb verbanden, in Vorbereitung der erwarteten Ankunft von SS „Vernichtungseinheiten” zur teilweisen oder völligen Liquidierung des Ghettos. Durch unterirdische Röhren und gegrabene Verbindungsgänge zu den umliegenden Teilen der Stadt hatten die Juden erfolgreich mit der Hilfe von polnischen Partisanen und deutschen Soldaten Nahrungsmittel, Baumaterial und Waffen ins Ghetto transportiert. Die modernste Ausrüstung, von leichten Automatikwaffen bis hin zu den schwersten Waffen, war gesichert worden – in manchen Fällen gekauft – aus Armee- und SS-Läden und heimlich im Ghetto angesammelt. Einige hundert deutsche Deserteure hatten auch im Ghetto Zuflucht gesucht und arbeiteten zusammen mit den Juden an den provisorischen Befestigungen.

Ende April erhielten 2 Garnisonszüge der regulären deutschen Garnison von Warschau Befehle, einen gewissen Transport von Juden aus dem Ghetto zu einem der nahegelegenen Bahnhöfe durchzuführen, wo SS-Wachen sie übernehmen und in eine der „Vernichtungseinrichtungen“ bringen sollten, die in Polen errichtet worden waren.

Diese zwei Garnisonszüge kamen nicht zurück. Zwei weitere Züge, die ausgeschickt wurden, um mehr darüber herauszufinden, was mit ihnen geschehen war, und letztlich den Befehl auszuführen, kamen auch nicht zurück. Es wurde ermittelt, dass beide Einheiten auf bewaffneten Widerstand trafen, dass ein großer Teil von ihnen mit allen Waffen und Ausrüstung zu den Verteidigern überging, während der Rest überwältigt und gefangengenommen wurde. Diesen Ereignissen ging, wie festgehalten werden muss, ein Protest von Offizieren der regulären Wehrmacht gegen die Aufgaben voraus, die nichts mit militärischem Einsatz in der Kriegführung zu tun haben.

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