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Aufruf gegen den Bau einer chemischen Fabrik im Ruhrgebiet (um 1874)

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Bei Herstellung von Chemikalien bilden sich je nach den in Gebrauch genommenen Rohproducten und nach Art und Weise der Fabrication allerlei schädliche Dämpfe als: Schwefelwasserstoffgas, Chlorwasserstoffgas, Salzsäuredünste etc., welche beeinflußt durch Temperatur und Windrichtung die Luft bis zu 2000 m und noch weiter verderben, auf die menschliche Gesundheit nachtheilig einwirken und die Vegetation stören oder sogar vollständig vernichten. Es ist durch unzählige Gutachten von Sachverständigen und gerichtliche Erkenntnisse festgestellt, daß durch die aus den chemischen Fabriken ausströmenden Gase Pflanzen und Baumwuchs zu Grunde gehen; außerdem zeigt auch der Augenschein dem Laien bei einiger Beobachtung mit aller Bestimmtheit, welche nachtheilige Folgen die Säure-Dünste haben. Bei entsprechender Windrichtung und Temperatur genügt manchmal nur ganz kurze Zeit – einige Stunden – um Pflanzen und Holzgewächse zu tödten. Besonders und in sehr weitem Umkreise werden Blüthen von Feldfrüchten und Obstbäumen betroffen, die von den chemischen Dünsten angehaucht vor der Zeit abfallen. Hervorzuheben ist hierbei noch, daß bei den in größerer Entfernung verursachten Schäden – namentlich bei Blüthen – die Beweisführung für die betreffenden Interessenten im Falle von Vergütungs-Ansprüchen oder Klagen sehr schwierig wird, indem tathsächliche Momente über die Ursache der angerichteten Schäden von Seiten der Sachverständigen meist nicht mit Bestimmtheit angegeben werden können, zumal bei Feststellung des objectiven Tathbestandes zwischen der Zeit der Beschädigung und der Zeit der Constatierung derselben keine lange Frist liegen darf, was namentlich beim Gerichtsverfahren nicht immer die nöthige Berücksichtigung finden kann.

Die Wiesen und Kleefelder werden in doppelter Weise von den Ausdünstungen geschädigt und zwar erstens, weil sie im Wachsthum gestört werden, und dann auch noch, weil die betreffenden Futterstoffe, mögen sie frisch oder getrocknet sein, fürs Vieh ungenießbar werden. Der Dr. Schröder, Docent an der Forstakademie in Tharant (Sachsen) machte auf der 7. Versammlung deutscher Forstmänner in Dresden im August vorigen Jahres in einem Vortrage darauf aufmerksam, daß schwefelige Säuren – die sich bekanntlich auch bei der Sodafabrication bilden – nachtheilig auf die Blattorgane wirken, und daß er es übernommen habe, dies durch zahlreiche chemische Untersuchungen festzustellen. Dabei hat es sich gefunden, daß die Säuren den Chlorophylstoff zerstören und die Transpirationskraft so beeinträchtigen, daß die Blätter vertrocknen müssen, was natürlich das Absterben der betreffenden Holzgewächse zur Folge hat. Bei der chem. Fabrik Rheinau ergibt der Augenschein, daß die aus den Fabrikgebäuden und Kaminen entweichenden Säure-Dünste ganz verheerend auf die umliegenden Wälder und Gärten gewirkt haben. Bei feuchter und windstiller Witterung ist die ganze Gegend auf 1/4 bis 1/2 Stunde im Umfange von diesen giftigen Gasen in Form eines stinkigen Nebels fast vollständig undurchsichtig eingehüllt, und die Dünste fallen dann, weil sie spezifisch schwerer sind als die reine atmosphärische Luft, zur Erde, und tödten langsam jede Vegetation. Die angerichteten Schäden spotten jeder Beschreibung. Da sich trotzdem die Fabrik-Verwaltung geweigert hat, den Beschädigten eine Vergütung zu bewilligen – was von einigen anderen chem. Fabriken in der dortigen Gegend bereitwilligst geschieht –, so haben die Wald- und Grundbesitzer zur Erlangung ihres Rechtes den Gerichtsweg betreten müssen, über dessen Resultat man bei dem bedeutenden Beweis-Material und bei Vergleichung ähnlicher Fälle, welche zu Verurtheilungen führten, außer Zweifel sein mochte. Die Rheinau hat, wie gesagt, die ihr von den Geschädigten angebotene gütliche Einigung ohne Weiteres von der Hand gewiesen, ein Beweis, daß in Horst die umliegenden Grundbesitzer vorkommenden Falls auf coulantes Entgegenkommen wohl nicht mit Sicherheit rechnen können.

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