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Die Stimmungslage in Bayern und anderen Bundesstaaten aus britischer Sicht (3. Dezember 1866)

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Abschließend sei es mir vielleicht gestattet, eine Ansicht zu wiederholen, die ich mir bereits zuvor zu äußern erlaubte, nämlich dass es, obwohl abstrakt ausgedrückt, im Interesse Großbritanniens ist, dass ein starkes Preußen als Barriere gegen Frankreich existieren solle, dass jedoch seine Vergrößerung unter den gegenwärtigen Umständen aus britischer Sicht nicht mit reiner Genugtuung betrachtet werden kann. – Aus einer defensiven [Macht] ist Preußen zu einer aggressiven Macht geworden. – Seine Neigungen sind russisch. – Falls es keinen Bündnisvertrag mit Russland abgeschlossen hat, was ich auch nicht glaube, dann hat es doch ein Einvernehmen mit ihm – was gleichbedeutend ist mit einem Vertrag in der heutigen Zeit, in der die Tatsache der schriftlichen Niederlegung von Verpflichtungen ihnen nicht mehr Gewicht zu verleihen scheint. Die Frage, die Russland gegenwärtig in erster Linie näher zu Preußen bewegt hat und es über den Umsturz von Thronen durch Preußen hinwegsehen ließ, die durch von Russland unterzeichnete Verträge errichtet worden sind, ist nach meinem Verständnis die polnische Frage.

Der Kaiser von Russland ist eifersüchtig auf die Zugeständnisse, die Österreich seinen polnischen Untertanen macht, und von denen er befürchtet, dass sie die Ruhe in seinen eigenen polnischen Hoheitsgebieten stören werden, während er in Preußen einen Verbündeten findet, der bereitwillig bei der Verhinderung oder Unterdrückung jeglicher polnischer [National]bewegungen kooperiert.

Vorerst dürfte die Polenfrage das Hauptthema eines Einvernehmens zwischen den beiden Mächten sein. Doch haben wir irgendeine Gewähr, dass, sollte die Orientfrage wieder auf die Tagesordnung kommen, Preußen Russland nicht als Gegenleistung für Russlands Einwilligung in seine weitere Ausdehnung in Deutschland bei seinem Ziel helfen wird, inmitten der Untergrabung anderer Verträge auch jene aufzuheben, die ihm nach dem Krimkrieg auferlegt wurden und die bereits gebrochen worden sind durch den preußischen Erfolg bei der Thronbesetzung der Donaufürstentümer durch einen Hohenzollernfürsten und seine Macht im Osten auszuweiten? – Die von Preußen in jenem Krieg gespielte Rolle ist in dieser Hinsicht nicht gerade vertrauenerweckend. – Wenn das Bündnis der beiden großen nördlichen Mächte ein solches Ergebnis zeitigen sollte, was durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dann würden britische Interessen zweifellos berührt. Doch es würde Ihre Lordschaft ermüden, wenn ich das Thema der Bündnisse und Komplikationen weiter verfolgte, die aus den derzeitigen Verhältnissen hervorgehen könnten. – Es genügt wohl, wenn ich sage, dass ich darauf vertraue, dass meine Befürchtungen sich nicht bewahrheiten dürften, es sei denn, die Ergebnisse des letzten Krieges haben die Saat neuer und womöglich ausgedehnterer Kriege gesät.

Ich habe die Ehre, mit der allerhöchsten Ehrerbietung,
Euer Gnaden,
Der gehorsamste und ergebenste Diener Eurer Lordschaft zu sein

Henry F. Howard



Quelle: Britischer Gesandter zu Bayern, Herr Henry F. Howard, München, an den Britischen Außenminister Lord Stanley, London (vertraulich), Bericht Nr. 140, 3. Dezember 1866, in The National Archives, London, FO 9/177 (nicht nummeriert), handgeschrieben.

Übersetzung: Erwin Fink

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