GHDI logo

Gesprächsabende unter Veteranen in einer Landgemeinde in Pommern (1870er Jahre)

Seite 3 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Und nun erst Bismarck! War er nicht unser Speziallandsmann? Gewiß, ihm gehörte ja das pommersche Gut Varzin. Nur wenige Meilen von uns lag’s entfernt mit seinen ausgedehnten Waldungen. Also hatten wir alle Ursache stolz zu sein.

Übrigens gab es ja auch in der näheren Umgebung unseres Ortes eine ganze Anzahl adeliger Gutsherrn, die an den letzten Feldzügen teilgenommen hatten, als Herr Leutnant, Herr Hauptmann, Herr Rittmeister, Herr Major oder auch als Herr Oberst. Häufig kamen diese Herren nach unserem Städtchen, jeder Zoll ein Edelmann. Im Sommer hoch zu Roß oder per Wagen, im Winter in eleganten Schlitten, in prächtige Pelze gehüllt, oft genug »viere lang« mit zwei Vorreitern, Kutscher und Diener in reicher Livree.

Honoratioren und Geschäftsleute standen dann nicht selten in ihren Haustüren und machten Bücklinge und Kratzfüße, und mancher zünftige Spießbürger rechnete es sich zur hohen Ehre an, wenn er das Glück hatte, derartig vornehme Herrschaften grüßen zu dürfen und gar – wieder gegrüßt zu werden. Die Herrschaften schienen diese ehrerbietigen Grüße der Einwohner als etwas ganz Selbstverständliches zu betrachten, denn meistens erwiderten sie jene Devotionen nur mit einem leichten, flüchtigen Kopfnicken; selten lüfteten sie die eigene herrschaftliche Kopfbedeckung. Wir Kinder aber freuten uns über die feurigen, schnaubenden Pferde, die dampfend und schäumend vor dem adeligen Gefährt prunkten. Ich versäumte zudem nicht, noch regelmäßig nach der Brust der Herren zu spähen, ob dort auch ein farbiges Ordensband im Knopfloch prangte. Erblickte ich es, so rangierte dessen Besitzer für mich ohne weiteres in der Reihe der tapfersten aller tapferen pommerschen Krieger. Er galt mir als eine Art höheres Wesen. In meinen Augen war er dann nicht nur ein geborener Führer und Offizier der gewöhnlichen Soldaten, sondern auch rechtmäßiger Herr und Gebieter in anderen Dingen, der ein natürliches Anrecht darauf hatte, daß ihm jedermann mit Achtung und Zuvorkommenheit begegnete. So erzählten es uns auch die Lehrer in der Schule, und sie ermahnten uns oft, nur immer recht höflich und ehrerbietig gegen jene Herren zu sein, denn diese seien nach Gottes Willen die Obersten des Volkes. Und da mußte es doch stimmen.




Quelle: Franz Rehbein, Das Leben eines Landarbeiters (orig. 1911), herausgegeben von Urs J. Diederichs und Holger Rüdel. Hamburg: Christians, 1987, S. 5, 12-15.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite