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Gesprächsabende unter Veteranen in einer Landgemeinde in Pommern (1870er Jahre)

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Das Hauptgespräch drehte sich in der Regel um Kriegsgeschichten. Es waren auch in der Tat fast alle Männer da, die auf diesem Gebiete selbst etwas erlebt hatten und aus eigener Erfahrung reden konnten. Ein Maurer und ein Schuster hatten den siebziger Feldzug mitgemacht, der eine als Infanterist, der andere bei den schwarzen Husaren. Letzterer bewahrte seine schwarze Husarenmütze mit dem Totenkopf noch immer wie ein Heiligtum auf. Ein Gärtner war 66 mit gewesen. Er erzählte mit Vorliebe von der Attacke der dritten Dragoner am 3. Juli 66, die er mitgeritten hatte und bei der er verwundet worden war. Ein Holzpantoffelmacher war Teilnehmer an dem polnischen Invasionszuge gewesen; dieser äußerte jedoch stets am wenigsten Kriegsbegeisterung. »Ja ja, wenn die ewigen Strapazen nicht wären und die schlechte Behandlung«, meinte er vielsagend. »Was hat man denn davon?« Die Senioren der »Zunft« aber waren zwei Invaliden aus den Freiheitskriegen, ein paar alte Veteranen, die von einem »Gnadensold« lebten. Sie besaßen noch ihre Mäntel aus der Franzosenzeit, in denen sie unter York und Blücher gekämpft hatten und die ihnen oft in kalter Biwaksnacht als Schlafdecke hatten dienen müssen. Ich betrachtete die beiden verwitterten Gestalten stets mit einer Art ehrfürchtiger Scheu; schienen sie mir doch schon deshalb um so verehrungswürdiger, weil es wirkliche und leibhaftige Zeugen einer Sturmzeit waren, aus der es nur noch vereinzelte Überlebende gab.

Bei den Erzählungen dieser Veteranen wurden die Geschichten und Personen jener bewegten Zeiten, von denen wir doch auch in der Schule manches lernen mußten, vor meinem geistigen Auge förmlich lebendig. Wie malte ich mir in kindlicher Phantasie den ersten Napoleon, den Blücher, den Schill, den Nettelbeck, die französischen Garden, die preußische Landwehr, die russischen Kosaken. Kugelregen, Schlachtgetümmel, Reiterattacken schwebten mir vor – ein begeistertes gegenseitiges Morden »mit Gott für König und Vaterland«. So ungefähr wurde es uns ja auch in der Schule gelehrt.

Aufrichtige Bewunderung hegte ich natürlich auch für die deutschen Heerführer des siebziger Krieges. Alles, was preußisch war, erschien mir groß, erhaben, ideal. Und das speziell »Pommersche« hiervon dünkte mich noch um vieles größer und erhabener. Kindlicher Stolz schwellte meine Brust darüber, daß es gerade die Pommern gewesen waren, die »unter persönlicher Führung Moltkes« am Abend des Schlachttages von Gravelotte den Sieg der deutschen Waffen herbeigeführt hatten. Wie ich mir das vorstellte! Gerade so mußte es ja gewesen sein, wie ich es auf einem Ruppiner Bilderbogen so herrlich »abgemalt« gesehen hatte. Moltke mit gezogenem Degen auf prächtigem Kriegsroß voran. Hinter ihm her die Kolonnen der braven Pommern. Rechts, links und überall um ihn platzen die französischen Granaten. Reihenweise stürzen die tapferen Krieger bei dem blutigen Ansturm. In ganzen Haufen liegen und fallen Mannschaften und Offiziere, nur Moltke nicht. Unverwundbar wie der Kriegsgott selber spornt er seinen Rappen. Mit blitzendem Degen zeigt er auf den weichenden Feind, das Feldherrnauge rückwärts gewandt. So feuert er die pommerschen Grenadiere mitten im heftigsten Kugelregen an und führt sie in schneidigem Bajonettangriff über die geworfenen Rothosen hinweg zum Siege. Wirklich, dabei mußte doch jedes – Kind patriotisch werden.

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