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Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Kolonien? (1879)

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Es ist im neuen Reiche Vieles bereits so verbittert, von unfruchtbarem Parteihader versäuert und vergiftet, daß die Eröffnung einer neuen, verheißungsvollen Bahn nationaler Entwicklung wohl auf Vieles wie befreiend, weil den Volksgeist nach neuen Seiten mächtig anregend, zu wirken vermöchte. Auch das wäre erfreulich und ein Gewinn. Gewichtiger freilich noch ist die Erwägung, daß ein Volk, das auf die Höhe politischer Macht-Entwicklung geführt ist, nur so lange seine geschichtliche Stellung mit Erfolg behaupten kann, als es sich als Träger einer Cultur-Mission erkennt und beweist. Dies ist zugleich der einzige Weg, der auch Bestand und Wachstum des nationalen Wohlstandes, die nothwendige Grundlage dauernder Macht-Entfaltung, verbürgt. Die Zeiten, in denen Deutschland fast nur durch intellektuelle und literarische Thätigkeit an den Aufgaben unseres Jahrhunderts mitgearbeitet hat, sind vorüber. Wir sind politisch und sind auch mächtig geworden. Aber die politische Macht, wo sie als Selbstzweck in den Vordergrund der Strebungen einer Nation sich drängt, führt zur Härte, ja zur Barbarei, wenn sie nicht den ideellen, den sittlichen, wie ökonomischen Cultur-Aufgaben ihrer Zeit zu dienen bereit und willig ist. Der französische National-Oekonom Leroy Beaulieu schließt sein Werk über Colonisation mit den Worten: „Diejenige Nation ist die größte in der Welt, welche am meisten colonisirt; wenn sie es heute nicht ist, wird sie es morgen sein.“ Niemand kann in Abrede stellen, daß in dieser Richtung England allen anderen Staaten weit überlegen ist. Man hat freilich, zumal in Deutschland, während des letzten Jahrzehntes oft von „der sinkenden Macht Englands“ reden hören. Wer die Machtstellung eines Staates nur mehr, wie es in unserem eisernen Zeitalter allerdings fast üblich geworden, nach der Zahl seiner kriegsbereiten Heeres-Mannschaft zu schätzen versteht, mag solche Meinung leicht begründet achten. Wer aber über die Erdkugel seine Blicke streifen läßt und den fortwährend sich mehrenden mächtigen Colonial-Besitz Groß-Britanniens überschaut, wer die Kräfte, die es aus denselben zieht, das Geschick, mit welchem es ihn verwaltet, bedenkt, überhaupt die herrschende Stellung, welche der angelsächsische Stamm in allen überseeischen Ländern einnimmt, beobachtet, dem wird jene Rede wie das Raisonnement eines Spießbürgers erscheinen. Daß aber England seine weltumspannenden Besitzungen, seine über alle Meere dominirende Machtstellung mit einer Truppenzahl aufrecht erhält, welche kaum ein Vierttheil der Heeresmannschaften einer unserer continentalen Militair-Staaten ausmacht, ist nicht nur ein großer wirthschaftlicher Vortheil, sondern zugleich der schlagendste Beleg von der soliden Macht, von der culturellen Kraft Englands. Von continentalen Massenkriegen wird sich Groß-Britannien freilich heute möglichst ferne halten, oder doch nur mit Verbündeten in die Aktion treten, was aber der Machtstellung des insularen Reiches keinerlei Schaden bringen wird. Jedenfalls wäre es gut, wenn wir Deutsche von dem colonialen Geschick unserer angelsächsischen Vettern zu lernen und in friedlichem Wetteifer ihnen nachzustreben begännen. Als das Deutsche Reich vor Jahrhunderten an der Spitze der Staaten Europas stand, war es die erste Handels- und See-Macht. Will das neue Deutsche Reich seine wiedergewonnene Machtstellung auf längere Zeiten begründen und bewahren, so wird es dieselbe als eine Cultur-Mission zu erfassen und dann nicht länger zu zögern haben, auch seinen colonisatorischen Beruf aufs Neue zu bethätigen.




Quelle: Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Kolonien? Eine politisch-ökonomische Betrachtung (orig. 1879), 3. Ausg. Gotha, 1883.

Deutscher Originaltext und Englische Übersetzung abgedruckt in Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Colonien? / Does Germany Need Colonies? Eine politische-ökonomische Betrachtung von D[r. Theol.] Friedrich Fabri, Hg., Einl., und Übers. von E.C.M. Breuning und M. Chamberlain, Studies in German Thought and History, Nr. 2. Lewiston: Edwin Mellen Press, 1998, S. 46-59, 78-79, 82-85, 148-53, 178-81.

Wiedergabe auf dieser Webseite mit freundlicher Genehmigung von Edwin Mellen Press, Lewiston, New York (www.mellenpress.com).

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