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Hellmuth von Gerlach beschreibt eine konservative Wahlkampagne im ländlichen Schlesien (1880er)

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Die Landarbeiter standen auf einer sehr niedrigen Kulturstufe. Fast ihr einziges Vergnügen war der Schnaps, den sie bei festlichen Gelegenheiten (Weihnachten, Erntefest, Jagd) literweise aus der gutsherrlichen Brennerei erhielten. Die Frauen der Besitzer empörten sich oft über die am Sonnabend und Sonntag fast regelmäßig herrschende Besoffenheit, freuten sich aber gleichwohl über den gutgehenden Betrieb der eheherrlichen Kartoffelbrennerei. Die herrschende Moral wurde eben richtig durch die Verse charakterisiert:

Lern, lieber Sohn, das Leben kennen,
Sehr nobel ist es, Schnaps zu brennen,
Bedenklich schon, ihn zu verkaufen,
Ganz unmoralisch, ihn zu saufen!

Die Landarbeiter waren politisch damals einzig ein Faktor zur Erhaltung der konservativen Herrschaft. Bei ihren Hundelöhnen konnten sie sich den Luxus einer eigenen Zeitung nicht leisten. Der Rittergutsbesitzer ließ ihnen auf seine Kosten entweder eine kleine konservative Tageszeitung oder gar nur ein frommes Sonntagsblättchen zustellen. Zu Weihnachten bekamen sie einen Kalender mit patriotischen Erzählungen oder christlichen Ermahnungen zu Demut, Gehorsam und Zufriedenheit. Zu andern als konservativen Versammlungen wagte der Dorfwirt seinen Tanzsaal nicht herzugeben, da der Gutsbesitzer als Amtsvorsteher ihn bei unbequemem Verhalten in jeder Weise schikanieren konnte. Am Wahltag wurden die Arbeiter während der Mittagspause in geschlossenem Zuge zum Wahllokal geführt, vorn der Inspektor, hinten der Förster. Am Eingang zum Wahllokal übergab der Inspektor jedem Arbeiter den konservativen Stimmzettel, der gleich darauf von dem Gutsbesitzer als Wahlvorsteher in Empfang genommen wurde.

Der Apparat funktionierte tadellos. Nur auf den Bauerndörfern gab es politische Betriebsstörungen. Da wurden auch freisinnige oder Zentrums-Stimmen abgegeben. Darum waren unsre Herren „von und zu“ auch auf die Bauern schlecht zu sprechen (später hat ja der Bund der Landwirte mit großer Geschicklichkeit verstanden, die meisten Bauern vor den Junkerwagen zu spannen). In meiner Jugendzeit aber galt der Bauer in meiner Heimat noch als ein unsicherer oder gar aufsässiger Geselle, der sich hier und da beikommen ließ, dem „gnädigen Herrn“ nicht mehr die Jagd verpachten zu wollen, weil dieser zu viel Wildschaden geduldet hatte.

Wir hatten in unsrer Gegend einen einzigen wirklich modernen Menschen unter den Junkern. Das war der Graf Pourtalès, Fideikommißherr auf Glumbowitz. Der hatte sogar die verrückte Idee, daß das englische parlamentarische System vernünftig sei, weil es allein tüchtige Leute anreizen könne, in das Parlament zu treten. Graf Pourtalès wurde als „Liberaler“ verschrieen. Darum wählten ihn die Bauern in den Kreistag. Und er nahm dort mitten unter ihnen Platz.

Das schlug dem Faß den Boden aus. Pourtalès wurde von seinen Standesgenossen einhellig in den Bann getan. Niemand verkehrte mehr mit ihm. In seiner völligen Isolierung wußte er sich keinen andern Rat, als auf zehn Jahre nach Amerika zu gehen, um so Gras über sein Verbrechen wachsen zu lassen.



Quelle: Hellmuth von Gerlach, Erinnerungen eines Junkers. Berlin: Die Welt am Montag, n.d. [1925]), S. 23-30.

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