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Emil Lehmann spricht zu den Leipziger Juden über die antisemitische Bewegung (11. April 1880)

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Uns aber, die wir Deutsche sind, deutsch denken und deutsch fühlen, die wir mit allen Wurzeln unsrer Kraft auf deutschem Boden stehen, uns werden alle jene Angriffe nicht hindern, unser deutsches Vaterland und unsre Heimath zu lieben, gemeinnützig mit unsern Mitbürgern zu wirken und durch unser Leben die judenfeindlichen Angriffe zu widerlegen. Die besten Erwiderungen auf jene Flugschriften sind nicht Worte, nicht Schriften, sondern Thaten – unser Leben.

Die Mahnung jener Polemik gilt aber vorzugsweise den Juden, die es nur noch dem Namen nach sind. Sie haben sich entwöhnt mitzufühlen, mitzurathen, mitzuthaten bei Allem, was die Juden berührt. Sie meinten, die Zeit der Glaubensunterschiede sei vorüber. Nur ungern ließen sie sich daran erinnern, daß sie Juden seien. Ihre Kinder erzogen sie konfessionslos. Ihnen erschien das Judenthum wie ein überwundener Standpunkt. Viele unter ihnen ließen ihre Kinder nur am christlichen Religionsunterricht theilnehmen, unbekümmert darum, was daraus werden solle. Empfindlicher als alle anderen sind diese Glaubensgenossen durch die moderne Polemik betroffen worden. Sie wurden in unsanftester Weise daran erinnert, daß sie auch Juden seien, daß ihre Isolirung ihnen nichts helfe. Die Zeit der Glaubensunterschiede ist nicht vorüber, die positiven Religionen haben ihre Geltung nicht verloren. Der Jude bleibt Jude, so lange er nicht Christ wird – und auch der getaufte Jude unterliegt noch der Abneigung. So mahnen denn jene erneuten Angriffe die Juden zur Einkehr in sich, zur Besinnung auf sich, zur Hebung, Kräftigung und Läuterung ihrer religiösen Einrichtungen, zur Förderung dessen, was den Juden wie den Christen gemeinsam: des religiösen Sinnes, zur Prüfung der eigenen Schätze, zur Beschäftigung mit der jüdischen religionswissenschaftlichen und geschichtlichen Literatur, um aus ihr Kraft, Muth und Ueberzeugung dafür zu schöpfen, daß das Judenthum eine Religion sei, die ihre aufrichtigen Bekenner zur reinsten Humanität, zur echten Menschenliebe, zur treuesten Pflichterfüllung leitet, daß der wahre Jude auch ein guter Mensch und ein braver Patriot ist.




Quelle: Emil Lehmann, “Ueber die judenfeindliche Bewegung in Deutschland”. Referat erstattet auf dem dritten ordentlichen Gemeindetag zu Leipzig am 11. April 1880, in Lehmann, Gesammelte Schriften. Berlin, 1899, S. 215-24, hier S. 217-24.

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