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Sozialer Antagonismus zwischen Protestanten und Katholiken (1870er-1880er Jahre)

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Nicht einmal die Rechtsprechung, deren Unabhängigkeit bis dahin Preußens Stolz gewesen war, blieb vom Kulturkampfe ganz unberührt. Der Justizminister hatte die Oberstaatsanwälte unterm 15. Juli 1874 durch eine besondere Verfügung angewiesen, den Blättern der Zentrumspartei eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden und mit Beschlagnahme und Anklage überall da vorzugehen, wo der Tatbestand einer strafbaren Handlung zu finden sei. Welchen Erfolg eine solche Aufforderung an eine Behörde haben mußte, die ohnehin gewissermaßen von Amts wegen geneigt ist, Handlungen strafbar zu finden, läßt sich denken. Die Preßprozesse gegen die »ultramontane« Presse mehrten sich in auffälligster Weise, und die untergeordneten Organe der Justiz und der Polizei ließen sich in vielen Fällen offenbare Gesetzesverletzungen bei Beschlagnahmen und Haussuchungen zuschulden kommen. Selbst liberale Blätter gestanden ein, daß auf solche Weise alle Preßfreiheit vernichtet werden könne. In manchen Fällen wurden die Blätter der Zentrumspartei für Artikel bestraft, die in den liberalen Blättern desselben Ortes straflos zum Abdruck gelangt waren. Der Abgeordnete Dr. Lieber stellte das am 23. Februar 1875 im Abgeordnetenhause ausdrücklich fest und rügte das Vorgehen der Gerichte in seiner temperamentvollen Art. Die amtlichen Blätter reizten die Gemüter in einer Weise auf, die nur darüber erstaunen lasse, daß das in der bayrischen Kammer gefallene Wort: »Mit den Ultramontanen unterhandelt man nicht, man schlägt ihnen die Köpfe ein!« noch nicht in die Tat übersetzt sei; gleichwohl habe man bisher diese Aufreizungen unbehelligt gelassen.



Quelle: Eduard Hüsgen, Ludwig Windthorst. Köln, 1907, S. 222-23, 226.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter, Hg., Das Deutsche Kaiserreich 1871-1914. Ein historisches Lesebuch, 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 199-201.

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