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Das Religionsverständnis der Arbeiter (1890)

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Wer hat euch das bewiesen? fragte ich. Das ist doch höchstens nur eine Annahme, eine Behauptung, also nichts andres als meine freilich andre Meinung auch. Übrigens habe ich auch Gründe für die meine. Nehmt z. B. eine Trompete und blast hinein, dann giebt sie einen Ton. Aber der Ton ist etwas durchaus andres als die Trompete; so ists, so kann es wenigstens mit dem Gehirn und Geist auch sein. Jenes ist das Organ, dieser sein Inhalt.

Darauf stutzte H. eine kurze Zeit. Aber dann lächelte er abermals überlegen und sagte — wie unendlich bezeichnend für die Richtigkeit meiner Darlegungen an der Spitze dieses Kapitels! —:

Ich sehe schon, Sie hängen noch ganz an Orthodoxie und Bibel. Die ganze heutige Wissenschaft ist dagegen.

Ja und nein, gebe ich zurück. Übrigens ist das weder eine Schande noch ein Unglück, sondern das Gegenteil von beiden, wenn einem die Bibel noch was wert ist.

Man lacht Sie bloß aus damit. Wenn Sie zu einem Gebildeten dasselbe sagen wie zu mir, so wird er Sie bloß fragen, was Sie sind; und wenn er hört: bloß Arbeiter, so wird er Sie einfach auslachen und sich Ihre Dummheit erklären.

Hier mischt sich ein vierter ins Gespräch, der inzwischen mit einem Bohrer zusammen ebenfalls hinzugekommen war, ein Handarbeiter, von dessen innerer religiöser Verfassung ich noch weiter unten viel erzählen muß. Er war ebenso voll von Hoffnungslosigkeit und Mißtrauen gegen den Glauben, wie von Sehnsucht nach ihm. Er erzählte:

Gestern packten wir einen von den eisernen Särgen ein, den die Fabrik von dem kleinen noch vorhandenen Lager einmal wieder nach langer Pause verkauft hatte. Wir waren drei Mann beim Einpacken und gerieten dabei in Streit, ob es ein ewiges Leben gäbe. Die beiden andern meinten entschieden nein; auch der Meister, der hinzu kam und sich hinein mischte, sagte, daß sie recht hätten: der Mensch wäre einfach wie eine brennende Cigarre; sie verglüht, und der Rest ist Asche. Haben die nun recht oder nicht? Giebts ein Wiedersehen oder nicht?

Ja wohl, in Buxtehude, lachte abermals der Monteur.

Aber warum lehren das dann die Geistlichen?

Damit die Menschen hübsch arm und dumm und hübsch zufrieden bleiben, belehrt ihn der, der vorhin das Jesuswunder zu Kana erwähnt hatte; und der Monteur fügte bestätigend hinzu: Der Mensch ist ein Raubtier, ja schlimmer als das. Das Raubtier will nur satt werden, der Mensch will mehr. Gäbs nicht das bißchen Religion in der Welt, so müßten wir jeden Morgen so und so viele Leichen beiseite schaffen.

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