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Das Religionsverständnis der Arbeiter (1890)

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Er war übrigens schon in der besten Gesellschaft von allen. Er bewohnte mit einem Gleichaltrigen, Zwanzigjährigen eine hübsche Stube. Diesen, einen Pommern, hatte er, wenn ich mich recht erinnere, in Berlin kennen gelernt und war mit ihm zusammen nach Chemnitz gewandert. Das war ein stiller, harmloser Mensch aus einer allerdings armen Handwerkerfamilie, einer von den wenigen, die noch Christentum im Leibe hatten, an dem sie nicht rütteln ließen, und von dem alle Gegeneinflüsse wie selbstverständlich wirkungslos abglitten. Der übte einen stummen, aber guten Einfluß auf den Stubengenossen aus.

Eben dieser stille Junge, ebenfalls Schlosser, stand in der Fabrik zwischen zwei gleichaltrigen Handwerkskollegen. Von des einen religiöser Gesinnung weiß ich nicht viel. Er war aus der Gegend von Wurzen bei Leipzig, wo sein Vater in einem ganz kleinen Landstädtchen eine große, gut gehende Schlosserei hatte, und wohin er zurückkehren sollte, wenn er sich in der Welt und den Fabriken umgesehen und sich — ausgetobt hätte. Er zeigte mir einmal eine Flasche mit hellem Trinkwasser lächelnd mit der witzig sein sollenden Bemerkung: „Reines Gotteswort.“ Der andre Nachbar war Typus für den durchschnittlichen jungen Fabrikschlosser und machte tüchtig lebenschön. Ich traf ihn immer des Sonntags auf den Tanzböden mit seinem Mädchen; er wußte, daß er leidlich situierte Eltern hatte. An ihm besonders hatte die glaubenslose Agitation der Sozialdemokratie ihre normale, oben geschilderte Wirkung gethan. Er war nämlich Gevatter eines verheirateten jungen Freundes. Eines Tages war sein Patenkind gestorben, drei Tage nachher, nachmittags 3 Uhr, das Begräbnis. Am andern Tage war er müde und übernächtig. Auf meine Frage darnach erzählte er mir in einem Zuge, daß der Pastor am Grabe schön gesprochen hätte, und daß sie danach den Nachmittag und die Nacht bis morgens 4 Uhr gekneipt und gezecht hätten. Man hätte ja doch einmal freien Nachmittag gehabt. Der Vater des toten Kindes wäre allerdings schon um 10 Uhr aus der Kneipe nach Hause gegangen.

Ein andrer war sein getreues Ebenbild an Alter, Beruf und Gesinnung. Er glaubte an ein „höheres Wesen,“ von dem er sich aber nicht die geringste Vorstellung machte, und das ihn völlig gleichgiltig ließ. Er „glaubte“ bloß noch daran, weil das so zum Menschen gehöre. Etwas müßte ihn doch vom Tiere unterscheiden.

Das sind einige Schlaglichter auf die Gesinnung und religiöse Verfassung unsrer jungen erwachsenen Leute; auch sie bewähren schon das frühere Urteil über sie. Ich kehre nun zur Charakteristik der reifern, zielbewußten sozialdemokratischen Männer zurück.

Es war eines Vormittags; ich bohrte seit einigen Tagen krampfhaft mit der Handbohrmaschine in eine hohe starke eiserne Wand eines Rundsägegatters Löcher, die ich mir mit Kreide vorgezeichnet hatte. Da trat ein Monteur, der in der Nähe arbeitete, der älteste von allen neun Monteuren, an mich heran; ein zweiter, von dem ich noch manches erzählen werde, ein Handarbeiter kam dazu; dann noch ein dritter, den ich ebenfalls schon mehrmals erwähnt habe. Der letztere war ein konsequenter Sozialdemokrat, konsequenter und von der Partei in seinem Denken bewußter abhängig als jene zwei andern. Wir kamen mit einander in ein langes Gespräch.

Man löschte mir, während ich einmal wegsah, im Scherze die Kreidekreise weg, die ich mir auf meine Eisenwand aufgezeichnet hatte. Als ich es bemerkte, nahm ich den Scherz auf und sagte: „Zerstört mir meine Zirkel nicht!“ Was meinst du damit? sagte da der eine. Ich fragte, ob sie die Geschichte von Archimedes und der Zerstörung von Syrakus kennten. Sie verneinten, und ich erzählte sie ihnen und erklärte ihnen mein obiges Zitat.

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