GHDI logo

Der Einfluss der Leihbibliotheken auf den Romanabsatz (1884)

Seite 2 von 8    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Bevor wir nun an die Beantwortung der Frage gehen: ob die Leihbibliothek den Rückgang des Bücherabsatzes verschuldet habe, scheint es uns nöthig, zu untersuchen, ob der Absatz von Belletristik überhaupt zurückgegangen ist. Man spricht das so leichthin aus, daß vom Publicum Romane nicht mehr gekauft werden, daß der Romanverlag ohne die Leihbibliotheken nicht mehr möglich sei.

Diese fast allgemein getheilte Ansicht ist indessen grundfalsch. In keiner Zeit wurde mehr Belletristik vom Publicum gekauft, als in der unsrigen.

Daß es irgend ein Roman bis vor zehn Jahren zu vier, ja zehn und auch zwölf Auflagen gebracht hätte, haben wir nie erlebt; heute ist das keine Seltenheit mehr. Das beweist doch, daß die Kauflust im Publicum nicht erloschen, sondern gestiegen ist. Freilich concentrirt sie sich auf das anerkannt Gute; wer aber wollte das bedauern? Es ist das eine Folge der Ueberproduction.

Mit welchem Rechte wollen wir vom Publicum verlangen, daß es für Bücher von zweifelhaftem Werthe unsere gebräuchlichen theuren Preise bezahle? Für Bücher, die man einmal durchblättert und nie mehr in die Hand nimmt? Es ist doch nicht zu leugnen, daß die Mehrzahl unserer Novitäten dieser Kategorie angehört. Ist es nicht genug, wenn der Leihbibliothekar hierfür sein schwer erworbenes Geld verwendet, und hat nicht selbst dieser das in vielen Fällen nachträglich zu bedauern? Die Hunderte von periodisch und täglich erscheinenden Blättern rufen eine Unmasse Romane und Novellen hervor. Müssen denn aber alle diese auch noch in Buchform nochmals auf den Markt treten? Begnüge sich doch der Autor mit dem meist anständigen Honorar, das von den Zeitungen gezahlt wird, und verschleudere er es nicht wieder durch eine Buchausgabe, für deren Resultatlosigkeit er dann Publicum und Leihbibliothekar verantwortlich machen will.

Der Schriftsteller klagt, daß heutzutage mit einer Hast gelesen wird, daß es zu ruhigem Genießen und Aufnehmen eines Buches gar nicht mehr komme. Das ist richtig; indessen wer anders ist Schuld daran, als er und der Verleger, die sich täglich dem Publicum mit neuen Erzeugnissen präsentiren? Die Massenhaftigkeit des Mittelmäßigen hat diesen raschen Wechsel erzeugt und den früher bedächtigen und genießenden Leser zu einem oberflächlichen gemacht.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite