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Richard Wagner, Was ist Deutsch? (1865/1878)

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Als ich mich einmal über den Charakter der Aufführungen meines »Lohengrin« in Berlin aussprach, erhielt ich von dem Redakteur der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« eine Zurechtweisung in dem Sinne, daß ich den »deutschen Geist« doch nicht allein gepachtet zu haben glauben sollte. Ich merkte mir das und gab die Pacht auf. Dagegen freute ich mich, als eine gemeinsame deutsche Reichsmünze hergestellt wurde, und namentlich auch, als ich erfuhr, daß sie so original-deutsch ausgefallen sei, daß sie zu keiner Münze der anderen großen Weltstaaten stimme, sondern bei »Frank« und »Schilling« dem »Kurs« ausgesetzt bleibe: man sagte mir, das sei allerdings schikanös für den gemeinen Verkehr, aber sehr vorteilhaft für den Bankier. Auch hob sich mein deutsches Herz, als wir liberaler Weise für »Freihandel« stimmten: es war und herrscht zwar viel Not im Lande; der Arbeiter hungert und die Industrie siecht: aber das »Geschäft« geht. Für das »Geschäft« im allergrößten Sinne hat sich ganz neuerdings ja auch der Reichs-»Makler« eingefunden, und gilt es der Anmut und Würde allerhöchster Vermählungsfeierlichkeiten, so führt der jüngste Minister mit orientalischem Anstande den Fackeltanz an.

Dies alles mag gut und dem neuen deutschen Reiche recht angemessen sein, nur vermag ich es mir nicht mehr zu deuten, und glaube mich zur weiteren Beantwortung der Frage: »was ist deutsch?« für unfähig halten zu müssen. Sollte uns da nicht z. B. Herr Konstantin Frantz* vortrefflich helfen können? Gewiß wohl auch Herr Paul de Lagarde** Mögen diese sich als freundlichst ersucht betrachten, zur Belehrung unsres armen Bayreuther Patronatvereines sich der Beantwortung der verhängnisvollen Frage anzunehmen. Gelangten sie dann etwa bis zu dem Gebiete, auf welchem wir im voranstehenden Aufsatze Sebastian Bach in Augenschein zu nehmen hatten, so würde ich dann vielleicht wieder meinen erwünschten Mitarbeitern die Mühe abnehmen können. Wie schön, wenn ich bei den angerufenen Herren Beachtung fände!


* Konstantin Frantz (1817–1891), politischer Schriftsteller und Befürworter des Föderalismus. Seine gegenüber dem Bismarckreich skeptische Haltung hat Wagner nachhaltig beeinflußt.
** Paul de Lagarde (1827–1891), Orientalist und Verfechter eines deutschen Christentums. Trotz der Aufforderung Wagners hat er, im Unterschied zu K. Frantz, an den Bayreuther Blättern nicht mitgewirkt.



Quelle: Richard Wagner, Was ist deutsch? (1865/1878).

Abgedruckt in Richard Wagner, Die Kunst und die Revolution, Hg. Tibor Kneif © 1975 by Rogner & Bernhard Verlags GmbH & Co. Verlags KG, Berlin, S. 81-103.

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