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Ferdinand Avenarius über die schönen Künste: Erstausgabe von Der Kunstwart (1. Oktober 1887)

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Noch nicht — denn unverkennbar scheint es uns, daß sich in unserer Dichtung eine Wendung zum Besseren bemerkbar macht. Freudig begrüßen wir vor Allem Eines. Die spielerische, auf der Oberfläche herumgeistreichelnde Art des Schrifttums, die das Feuilleton großgenährt, wird bei dem gebildeten Teil der Genießenden mehr und mehr mißachtet, zeige sie sich nun im Gedicht, als Erzählung oder auf der Bühne. Und auch in die Schaffenden ist ein größerer Ernst eingezogen, ein volleres Bewußtsein von den gewaltigen Aufgaben, welche die Dichtung unserer Zeit zu lösen hat, will sie eben die Dichtung unserer Zeit sein. Es mangelt diesem Bewußtsein nicht an Irrtümern des Gedankens sowohl wie der Empfindung, die, ausgewachsen am Baum unserer Kunst, nur verkrüppelte Äste geben könnten. Aber es mangelt auch weder an kraftvollen Zweigen, die neu ergrünen Jahr um Jahr, noch an frisch aufstrebenden jungen Trieben voller Saft.

So giebt uns keine Kunst, sehen wir nur von der verkümmerten Mimik ab, — deren als einer Kunst zu gedenken, wir heute fast entwöhnt sind, — ein Recht, mißmuthig auf ihr derzeitiges Schaffen zu sehen. Und was das Beste ist: wo wir noch keine Gesundheit finden, finden wir doch zum mindesten die Vorzeichen der Gesundung. Lernt nur unser Volk mehr und mehr ermessen, wie viel aus einem vollen Sich-Ausleben einer vollkräftigen Kunst an innerer Stärke ihm zuwächst, so dürfen wir uns des Weges freuen, der vor uns liegt.



Quelle: Ferdinand Avenarius, „Unsere Künste: Zum Überblick“, Der Kunstwart. Rundschau über alle Gebiete des Schönen (Dresden), 1. Jg., 1. Stück (1887): S. 1-4.

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