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Alfred Lichtwark, Antrittsrede als Direktor der Hamburger Kunsthalle (9. Dezember 1886)

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Ihnen brauche ich nicht zu sagen, dass es nicht in unserer Absicht liegen kann, dies alles mit einem Male in Angriff zu nehmen. Wir würden selbst dann nicht dazu im stande sein, wenn wir schon jetzt über die Kräfte und Mittel verfügten, die dazu gehören. Es werden auf alle Fälle Jahre vergehen, ehe das Programm in den Umrissen erfüllt ist. Aber wir haben es für dringend geboten erachtet, es Ihnen schon jetzt in seinem ganzen Umfange, wenn auch nur andeutungsweise, vorzuführen. Manches wird die Praxis noch hinzufügen; wegstreichen – das ist unsere Überzeugung – sehr Weniges. Wir wollen unsere ganze Kraft an die Arbeit setzen.

Meine Herren, Sie wissen alle, dass mehr als ein Jahrhundert hindurch die Bürgerschaft Hamburgs das wichtigste nationale Kulturelement des deutschen Nordens bildete. In die Wälle Hamburgs flüchtete sich gegen Schluss des Dreissigjährigen Krieges das geistige Leben. Hier wurde noch im siebzehnten Jahrhundert das erste deutsche Opernhaus errichtet; im achtzehnten Jahrhundert wurde aus der national gebildeten Hamburger Bürgerschaft – allen den in französischer Kultur befangenen Höfen voran – der Anstoss zur Erneuerung unserer deutschen Litteratur gegeben. Mit Stolz nennen wir noch heute den Namen des alten Brockes. Von der Glorie eines Lessing und Klopstock fällt auch ein Strahl auf uns. Und nicht schwächer strömte das Leben auf künstlerischem Gebiet; ich erinnere Sie an die eine Thatsache, dass zu einer Zeit, da überall das Bürgertum darniederlag, bei uns ein Werk gedacht und durchgeführt werden konnte, wie die Grosse Michaeliskirche.

Wohl hat unsere politisch isolierte Bürgerschaft im Kampf um die materiellen Grundlagen des Daseins in unserem Jahrhundert die ideellen Interessen nicht immer in gleicher Intensität wahren können. Aber die Jahre der nationalen Erhebung haben auch uns bereit gefunden, und in den letzten Jahrzehnten sind die umfassendsten Anstrengungen gemacht, neue Grundlagen für die Bildung zu gewinnen. Sie, meine Herren, haben in beispielloser Opferwilligkeit das Volksschulwesen umgestaltet, Sie haben die älteren wissenschaftlichen Institute reorganisiert, Sie haben andere neu gegründet. Die Umgestaltung der Kunsthalle schliesst sich diesen Ihren Bestrebungen als jüngste That an.

Möge sie sich den älteren Instituten würdig anreihen. Möge sie in ihrem bescheidenen Wirkungskreise dazu beitragen, dass die künstlerische Bildung unserer Bevölkerung sich wieder zu der alten Höhe erhebt; möge die Kunsthalle durch ihre Leistungen auch fernerhin die Gunst der patriotischen Mitbürger verdienen, die durch freiwillige Gaben alle Schätze, welche unser Institut schmücken, zusammengehäuft haben. Aber, meine Herren, für die fernere Entwickelung der Kunsthalle reicht die Privathülfe nicht aus. Der Organismus, den ich in knappen Umrissen vor Ihr Auge gestellt habe, kann nicht ins Leben treten, es sei denn, dass Sie es wollen.



Quelle: Alfred Lichtwark, „Die Aufgaben der Kunsthalle. Antrittsrede, den 9. Dezember 1886“, in Lichtwark, Drei Programme, 2. Aufl. Berlin: Bruno Cassirer, 1902, S. 13-31.

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