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Alfred Lichtwark, Antrittsrede als Direktor der Hamburger Kunsthalle (9. Dezember 1886)

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Es würde die Aufgabe der Verwaltung sein, den Versuch zu machen, aus Architekten- und Gelehrtenkreisen die Kräfte für alle Gebiete heranzuziehen, die ihr selber ferner liegen. Dies würde vor Zersplitterung bewahren und der allseitigen Wirkung des Instituts zu Gute kommen. Es wäre sehr erwünscht, wenn Einführungen in die Geschichte der Architektur zu Stande kämen, für die unsere Sammlung von Photographien das Anschauungsmaterial zu bieten hätten.

Besonders am Herzen liegt es uns, die Schulen heranzuziehen. Warum sollen die Schüler der obersten Volksschulklassen oder die Schüler der höheren Schulen von der Tertia aufwärts nicht eben so gut von ihren Lehrern in die Kunsthalle geführt werden, wie in den Zoologischen Garten? Es soll ihnen von den Lehrern eine Anzahl der hervorragendsten Bilder eingehend gezeigt und erklärt werden. Sie sollen dabei auf die hingebende Betrachtung aller Einzelheiten der Darstellung geführt werden, sollen die wichtigsten Bilder mit allen Einzelheiten wie ein Gedicht auswendig lernen. Es versteht sich von selbst, dass für die Lehrer von der Verwaltung der Kunsthalle besondere Einführungskurse gehalten werden. Auf die zu erwartenden Resultate brauche ich Sie nicht hinzuweisen. Nur eins möchte ich hervorheben: ich glaube, der Weg durch die Kinder bietet uns die einzige Möglichkeit, in vielen Schichten den Eltern noch beizukommen. Die Kinder, denen die Augen geöffnet sind, bringen uns die Eltern ins Haus.

Bei einer so regelmässig reisenden Bevölkerung, wie der unsern, halte ich die Entwickelung einer anderen Einrichtung, die wir planen, für sehr wichtig. Ich möchte sie kurz den Reiseapparat nennen. Die Kunsthalle muss jedem, der sich zu einer Reise nach Berlin oder Dresden oder Paris oder auch nur nach Lübeck oder Lüneburg vorbereiten will, die Mittel und Wege weisen können. Er muss bei uns die Photographien der Bilder und, was mir sehr nötig scheint, der Gebäude sehen können, die er aufzusuchen hat; ebenso muss ihm die Bibliothek der Kunsthalle die einschlagenden Werke zur Vorbereitung bieten. Zur Benutzung dieses Materials haben systematische Vorlesungen anzuleiten, die zugleich eine kritische Übersicht über den Kunstbesitz der Hauptstädte geben. Wir würden die zu behandelnde Materie etwa nach folgenden Gesichtspunkten gruppieren: Die Museen und Bauten Berlins; Dresden und seine Sammlungen; die Deutschen Galerien; die Kunstdenkmäler und Sammlungen Hollands, Belgiens; die Pariser Sammlungen; die Bauten Ludwig XIV. und in ähnlicher Form Reisedirektionen für England, Italien. Es würde diese Einrichtung die Möglichkeit gewähren, auf das Studium der Architektur zu leiten, dessen Wert für die künstlerische Erziehung nicht hoch genug anzuschlagen ist.

Dies, hochgeehrte Herren, ist in aller Kürze der Plan für die Neugestaltung der Kunsthalle. Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung eingreift. Und das ist ja keine lediglich sittlich-ästhetische, sondern eine ganz hervorragend volkswirtschaftliche Frage. Die Zukunft unserer Kunst wie unserer Industrie hängt davon ab, ob wir uns den prüfenden, grosse und strenge Anforderungen stellenden Käufer im eigenem Land zu erziehen wissen. Dafür ist aber noch so gut wie Nichts geschehen.

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