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Alfred Lichtwark, Antrittsrede als Direktor der Hamburger Kunsthalle (9. Dezember 1886)

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Während unsere Kunsthalle in Bezug auf Erhaltungsmassregeln keine eigenartige Aufgabe haben kann, muss sie sich in Bezug auf den Umfang und die Art der Erwerbungen von Grundsätzen leiten lassen, die aus unseren örtlichen Bedürfnissen entspringen.

Es kann nicht die Aufgabe der Kunsthalle sein, auf all’ ihren verschiedenartigen Sammlungsgebieten nach Vollständigkeit zu streben – das muss, wo es überhaupt möglich ist, den Instituten der grossen Centralstätten vorbehalten bleiben. Bei uns kommt es nicht darauf an, möglichst viel zu erwerben, wir müssen den Nachdruck auf den künstlerischen Wert jedes einzelnen Stückes legen. Darüber hinaus lassen sich keine Grundsätze aufstellen; es gilt, bei jeder Abteilung aus ihrem Charakter festzustellen, in welcher Weise wir bei Erwerbungen vorzugehen haben.

Von den beiden Abteilungen unserer Gemäldegalerie wird die der älteren Meister nur ausnahmsweise durch einen Ankauf vermehrt werden können. Zu einem gründlichen Ausbau gehören Mittel, auf deren Gewährung wir von vornherein nicht hoffen dürfen. Wir müssen den Schwerpunkt in der vorsichtigen Ausbildung unserer modernen Galerie suchen. Ihr Niveau erscheint als sehr niedrig. Es kann auch wohl nicht anders sein, denn man hat bisher nur in seltenen Fällen für ein einzelnes Werk eine erhebliche Aufwendung machen können. Künftig werden die Mittel auf wenige bedeutende Werke concentriert werden müssen. Ein Bild ersten Ranges bedeutet mehr als eine ganze Galerie mässiger Durchschnittsleistungen. Es kommt hinzu, dass bei den Anschaffungen bisher der Natur der Sache nach nicht planmässig verfahren werden konnte. Man darf sich nicht wundern, dass uns eine grosse Anzahl bedeutender deutscher Meister überhaupt fehlt. Die Verwaltung wird sorgfältig Umschau halten müssen, charakteristische Werke der Meister der vergangenen Epoche zu erlangen. Wir haben keinen Ludwig Richter, keinen Overbeck, keinen Cornelius, keinen Schwind, keinen Rethel, keinen Steinle, keinen Führich. Mit stetiger Aufmerksamkeit hat die Verwaltung sodann die gegenwärtige künstlerische Produktion in ganz Deutschland zu verfolgen. Es darf kein bedeutendes Werk entstehen, das von der Verwaltung der Kunsthalle unbeachtet bliebe. Aber auch hier gilt es, die Mittel straff zusammenhalten; nicht Viel, aber nur das Allerbeste. Wenn es sich möglich machen lässt, von Zeit zu Zeit ein ausgezeichnetes englisches oder französisches Werk zu erwerben, so wird dies den Charakter unserer Sammlung vor Eintönigkeit bewahren und den Blick unserer Bevölkerung auch auf künstlerischem Gebiet über die Grenzen der Heimat hinaus leiten.

Einer durchgreifenden Erweiterung bedürfen die Erwerbungen für die Abteilung der Plastik.

Bei der Sammlung von Gipsabgüssen ist der Anfang bereits gemacht. Wir haben die bisher vorhandenen Abgüsse nach Werken der Antike um eine Anzahl der Reproduktionen künstlerisch und geschichtlich interessanter Originale vermehrt und eine Abteilung für die Skulptur der christlichen Epoche mit besonderer Berücksichtigung der vaterländischen Kunst neu gegründet. Wir hoffen, in kurzer Zeit auch die hierfür bestimmten Säle dem Publikum öffnen zu können.

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