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Alfred Lichtwark, Antrittsrede als Direktor der Hamburger Kunsthalle (9. Dezember 1886)

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Die Museen der Hauptstädte haben sich immer mehr darauf beschränkt, das Material systematisch zu sammeln und für die mannichfache Benutzung vorzubereiten. Eine lehrhafte Thätigkeit der Beamten trat gegen die verwaltende immer entschiedener zurück und wird neuerdings grundsätzlich ausgeschlossen. An den Berliner Museen ist eine Lehrthätigkeit den Beamten nur in Ausnahmefällen gestattet; sie sollen sich sammeln auf ihre Thätigkeit als wissenschaftliche Verwaltungsbeamte ihres schwierigen Faches. Bei uns liegen jedoch die Verhältnisse ganz anders. Es fehlen uns die mannigfaltigen Bildungsanstalten, über die eine Stadt wie Berlin verfügt. Wir haben in Hamburg keine Universität, kein Polytechnikum, keine Akademie. Wenn unsere Kunsthalle ihre Aufgabe recht versteht, so hat sie nicht nur zu sammeln, ihre Schätze zugänglich zu machen und im vornehmsten Sinn damit zu repräsentieren: sie wird vielmehr einen vielseitig anregenden Unterrichtsorganismus ausbilden müssen. Auch sie hat ihren Anteil an dem Erbe der alten Hamburgischen Bildungsanstalt, des Akademischen Gymnasiums, anzutreten, das einst in dem geistigen Leben unserer Bürgerschaft die Stelle einer Hochschule einnahm. Wie dies im Einzelnen zu verstehen, möchte ich Ihnen im Rahmen des Gesamtorganismus darlegen.

Die Thätigkeit jeder Museumsverwaltung gliedert sich nach drei Gesichtspunkten: sie hat für die Erhaltung, für die Vermehrung und für die Nutzbarmachung der Sammlungen zu sorgen.

In Bezug auf den ersten Punkt, die Sorge für die Erhaltung der Sammlungen, darf ich mich kurz fassen, denn das technische Detail wird Sie an dieser Stelle am wenigsten interessieren. Wir können uns, soweit unsere Verhältnisse gestatten, bereits bestehende und durch langjährigen Gebrauch erprobte Einrichtungen zum Vorbild nehmen. Von besonderer Wichtigkeit ist dies für das Kupferstichcabinet, das, wie Ihnen bekannt ist, einen hohen Rang einnimmt unter den verwandten Instituten Deutschlands. Wie bis vor ganz kurzer Zeit alle Sammlungen seiner Art, steht unser Kupferstichcabinet in allen seinen Einrichtungen auf dem Standpunkt einer Privatsammlung, die nur selten und nur von kundiger Hand berührt wird. Wie es jetzt beschaffen ist, kann es die öffentliche Benutzung auf die Dauer nicht vertragen. Die Vorkehrungen zur Sicherung der kostbaren Blätter sind durchaus unzureichend. Hier thut eine gründliche Umwandlung dringend Not. Das Publikum, das bisher durch beschränkte Besuchsstunden und andere Vorsichtsmassregeln von der Benutzung dieser Art von Sammlungen fern gehalten wurde, hat nicht in Hamburg allein keine Ahnung, welch’ eine unversiegbare Quelle künstlerischen Genusses ihm verschlossen geblieben. Handelt es sich beim Bestand der Kupferstichcabinette doch nicht um die grossen, schwer zu handhabenden Blätter, die der Kupferstecher von Gewerbe nach Gemälden der grossen Meister für den Wandschmuck gearbeitet hat. Derartige Werke von der Wand zu nehmen, für die sie gedacht und in ihrer Wirkung berechnet sind, hat keinen Sinn. Die Mappen des Kupferstich-Cabinets schliessen Schätze ganz anderer Art ein. Es sind Blätter von geringem Umfang, die man beim Besehen in die Hand nehmen soll; ihre Urheber sind nicht reproducierende Künstler, die nach den Werken Anderer arbeiten, sondern die Grossmeister selber, die das Werk mit eigener Hand auf den Holzblock zeichneten, auf die Kupferplatte oder – in unserm Jahrhundert – den lithographischen Stein brachten. Es sind also nicht Nachbildungen von der Hand eines Fremden, sondern Originalwerke. Gerade unsere grossen germanischen Meister, wie Dürer und Rembrandt, sind ohne Kenntnis ihrer eigenhändigen Stiche und Radirungen gar nicht zu würdigen und sie haben in ihnen ihre tiefsten Gedanken niedergelegt. Wir werden an unserm Kupferstichcabinet von der ersten Stunde an eine gründliche Reorganisation in Angriff nehmen müssen, damit die kostbaren Stiche und Handzeichnungen, deren einzelne Blätter oft viele Tausende wert sind, ohne Schaden einem Jeden können in die Hand gegeben werden. Gerade hier haben sich die in England erprobten Einrichtungen, deren Einzelheiten Sie mir erlassen werden, ungemein praktisch erwiesen.

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