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Auszüge aus der Flugschrift von Gabriel Riesser zur Emanzipation der Juden (1831)

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5. Aber es giebt eine ganz andere Art von Bestimmungen, die auch den Namen von Gesetzen führen – insbesondere die über die Beschneidung, den Sabbath und die Speise-Verbote – auf ähnliche Weise, wie die katholischen Bestimmungen über die Fasten Fasten-Gesetze genannt werden. Diese Bestimmungen werden von den Juden insgesammt als von der Religion ausgehend, betrachtet: denn selbst Diejenigen, – deren Anzahl aller Orten sehr beträchtlich ist, – die davon abweichen, gehen dabei von der Ansicht aus, daß ihre Religion auf einer höheren Entwickelungs-Stufe dieser Aeußerlichkeiten entbehren könne, nicht aber, daß dieselben vom Anfang an mit der Religion in keiner Beziehung gestanden. Hr. Dr. P. nun hält das für einen Grund-Irrthum, und ist der Meinung, daß jene Gesetze schon bei Moses etwas rein politisches, ein Ausfluß rein nationaler Gesetzgebung, die der Religion ganz fremd war, gewesen sein. Wir wollen das einmal zugeben: worauf beruht denn nun unser Irrthum? doch darauf, daß wir Verpflichtungen, die es nicht sind, für Religions-Pflichten halten, nicht darauf, daß wir sie üben, nachdem wir sie für der Religion fremd, für der politischen Gesetzgebung angehörig, erkannt haben. Hr. Dr. P. begeht hier den sonderbaren Fehler, daß er uns unvermerkt seine „richtigere" Ansicht unterschiebt, während er uns doch so sehr wegen unserer traurigen Begriffs-Verwirrung bedauert. Daß wir*) jene Gesetze beobachten, weil wir sie, der Ansicht des Hrn. Dr. P. entgegen, für religiöse**) halten, nicht aber, wie Hr. Dr. P. die Sache dreht, „weil wir uns durch unsere Religion verpflichtet glauben, eine besondere Nation zu bleiben," geht auf's klarste daraus hervor, daß wir uns insgesammt in allen den Beziehungen, die wir als dem bürgerlichen Gesetz angehörend betrachten, für verpflichtet halten, den Gesetzen des Landes unbedingt zu gehorchen, während Keinen von uns sich verpflichtet glaubt, von jenen anderen Gesetzen im Allgemeinen um des Staates willen abzuweichen.

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*) Ich sage hier wir – ohne Rücksicht darauf, daß, wie gesagt, Viele von uns nach ihrer religiösen Ueberzeugung sich der Beobachtung dieser Gesetze überhoben glauben – weil diese Verschiedenheit ganz und gar in das Gebiet der religiösen Meinung gehört, und es den Letzteren nie eingefallen ist, daß sie durch die Nicht-Beobachtung jener Gesetze dem Staate um ein Haar breit näher treten.
**) In Beziehung auf die Beschneidung ist es merkwürdig, daß Hr. Dr. P. selbst nicht umhin kann, (S. 14 und 26) einzugestehen, daß sie in ihrem Ursprunge bei Abraham eine rein religiöse Bedeutung gehabt habe. Für eine angebliche Metamorphose aber, vermöge deren diese Ceremonie gerade jetzt von den Juden als ein National-Abzeichen betrachtet werden soll, hat er nicht den allermindesten Beleg beigebracht.

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