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Die Beschreibung der antisemitischen Verfolgung und der „Kristallnacht” sowie ihrer Folgen in der Region Stuttgart durch den amerikanischen Konsul Samuel Honaker (12. November und 15. November 1938)

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Selbst die Religionszugehörigkeit von Personen jüdischer Herkunft, die als Christen geboren und getauft waren, konnte sie nicht vor der Verhaftung schützen. Ein typisches Beispiel dieser Art ist die Festnahme von Dr. Gabriel in Stuttgart, der bis 1933 der Leiter des Akademischen Informationsbüros an der Kölner Universität war. Es wird angenommen, dass Dr. Gabriel, der anscheinend einige Zeit lang mit Professor Sprague von der Columbia University zusammengearbeitet hat, in ein Konzentrationslager in Welzheim, Württemberg, gebracht wurde.

Was Stuttgart anbelangt, kann ich mit Sicherheit sagen, dass diese so genannte Vergeltungsmaßnahme gegen die Juden keine spontane, aus der Bevölkerungsmasse hervorgegangene Bewegung war. Sie scheint eindeutig gut organisiert, geplant und durch Personen ausgeführt worden zu sein, die das Vertrauen der Behörden genießen. So war die Feuerwehr in Bad Cannstatt in der Nähe der Synagoge postiert, noch ehe das Gebäude in Brand gesteckt wurde. Und während am Donnerstagmorgen (10. November) die Verwüstung jüdischer Geschäfte in Stuttgart in vollem Gange war, fuhr ein neuer 12-Zylinder-Mercedes mit hohen S.S.-Männern bei den betreffenden Läden vor. Die Männer begutachteten die Szene und fuhren, nachdem sie anscheinend ihr Einverständnis signalisiert hatten, wichtigtuerisch davon.

Dr. Max Immanuel, ein Aufsichtsratsmitglied der Berliner Kreditinvestitionsgesellschaft, der angeblich in der Vergangenheit eng mit Herrn Schacht zusammengearbeitet hat, hat mich informiert, dass die gesamte Wohnungseinrichtung seiner in Nürnberg ansässigen Schwester vollständig zerstört wurde. In Nürnberg scheinen die Verwüstungen und Misshandlungen besonders schlimm gewesen zu sein.

Erst gestern (Sonntag, 13. November) ersuchte mich die Frau eines prominenten Nürnberger Juden, den ich seit einigen Jahren gut kenne und der mir im Zusammenhang mit bestimmten Berichten sehr viel geholfen hat, etwas für die Freilassung ihres Mannes zu unternehmen, der am 10. November um drei Uhr dreißig morgens festgenommen wurde. Diese Dame erzählte mir, dass sie um ungefähr ein Uhr früh durch lautes Klopfen und Schellen an der Türklingel geweckt wurde. Sobald die Tür offen war, drangen Männer in SA-Uniform in die Wohnung und begannen sofort damit, die Einrichtung des Salons und des Speisezimmers zu zertrümmern. Ledersessel wurden mit Messern aufgeschlitzt und zerstochen, sodass sie nun praktisch wertlos sind. Porzellan wurde auf den Boden geworfen und zerbrochen. Nicht ein einziges Stück aus Glas blieb in der Wohnung heil. Als die Männer abzogen, war die Wohnung mit Ausnahme der Schlafzimmer, die sie nicht betreten hatten, ein einziger Trümmerhaufen.

Diese Zerstörung reichte den dafür Verantwortlichen aber immer noch nicht, denn um etwa vier Uhr früh kamen zwei Männer in Zivil mit Polizeibefugnis und forderten ihren Mann grob auf, sich unverzüglich anzuziehen. Er wurde verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Obwohl diese Dame eine recht einflussreiche Person ist und Kontakte zur Nürnberger Polizei unterhält, ist es ihr nicht gelungen, herauszufinden, in welches Gefängnis oder Konzentrationslager ihr Mann gebracht wurde.

Während des Tages berichteten mir zwei Leute, dass das Jüdische Altenheim in Neustadt in der Pfalz bis auf seine Grundfesten niedergebrannt wurde, und ungefähr sechzig Bewohner, allesamt alte Leute, von denen manche krank oder verkrüppelt und andere einfach altersschwach sind, in das Jüdische Altenheim von Mannheim verlegt wurden. Dort gab es aber überhaupt keinen Platz für sie, und anscheinend müssen sie über das ganze Gebäude verstreut auf dem Boden liegen.

Es gibt viele ähnliche Geschichten, ich denke jedoch, dass Sie nun ausreichend informiert sind, um meine eigenen unmittelbaren Erlebnisse der letzten Tage als verantwortlicher Leiter des Stuttgarter Konsulats erfahren zu wollen.

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