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Memorandum vom Staatsministerium des Großherzogtums Nassau (1822)

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vorgeschritten sind. Der schmutzige Schacher hat aufgehört. Die Jüngeren zeichnen sich vor den Alten vorteilhaft aus. Ich sage nicht, daß sie ganz gebessert sind, allein sie sind doch vorgeschritten, und sie werden es noch mehr, wenn man sie mehr achten und milder behandeln wird. Wenn verordnet wird, daß alle Judenkinder die Elementar- und Realschulen besuchen müßten, wenn die Lehrer angewiesen werden, sie gleich andern Kindern zu behandeln, ihre Religion ganz unerwähnt zu lassen, wenn man sich mehr um die jüdischen Schullehrer bekümmert, die, die sich durch sittliches Betragen empfehlen, auszeichnet und sie nicht mit dem rohen Schacherjuden über einen Kamm schert, wenn man die Juden in ihren bürgerlichen und Privatverhältnissen gleiche Rechte genießen läßt und sie gleichen Gesetzen unterwirft, so wird sich gewiß allmählich das Schroffe an ihnen abschleifen, wie dies ja bei einzelnen schon der Fall ist. Ohne für die Rezeption derselben eine allgemeine Regel aufzustellen, sie an Familienverhältnisse, ein bestimmtes Gewerbe oder eine Normalzahl zu binden, würde es gewiß weniger Inkonvenienzen herbeiführen und zur Veredlung der Juden beitragen, wenn sie bloß von gutem Lebenswandel, nötigem Vermögen zu einem ehrlichen Auskommen und dessen strenger Nachweisung, guten Zeugnissen der Ortsvorgesetzten und Beamten, kurz von persönlicher Qualifikation bedingt wäre. Die bisher Herangewachsenen sind zu keinen Gewerben, zum Ackerbau nicht angeführt. Sie jetzt zu einem oder zum andern zu zwingen ist fruchtlos. Sie darum, weil sie dies nicht lernen konnten, ganz verstoßen ist ungerecht. Diese möchten dann erlaubten Handel treiben, und man kann sie ja genau beobachten und strafen, wenn sie betrügen, wie jeder Betrug gestraft werden sollte. Den Eltern mache man zur Bedingung, die Kinder Professionen lernen zu lassen. Die Schwierigkeiten, daß ein christlicher Meister einen Judensohn nicht lernt und ein Judensohn nicht bei einem solchen lernen will, werden sich von selbst allmählich heben, denn Sprünge gedeihen doch nicht. Das Muß wird die Schwierigkeiten besiegen, wie es ja auch tut, wenn ein Jude Soldat werden muß. Wenn die jetzt Heranwachsenden wissen, daß sie nur dann rezipiert werden, wenn sie ein Handwerk betreiben lernen, so werden gewiß wenige zurückbleiben wollen. Hier werden sich aber wieder neue Schwierigkeiten zeigen. Wenn die Juden anfangen, Schuhe zu machen, zu schneidern etc., so werden die christlichen Handwerker über Bestehlung ihres Gewerbes schreien, wie die Krämer darüber schreien, daß sie vor den Juden nicht mehr so teuer verkaufen können, wie sie gerne möchten. Ist der Jude fleißiger, sucht er das rohe Material wohlfeiler einzukaufen, begnügt er sich mit weniger Profit, so gewinnt dabei der Konsument, und der Faule und Einfältige kann ihn nicht nach Willkür prellen. Das ist der ganze Nachteil hiervon, und Ungerechtigkeit liegt nicht in der Sache, weil die Religion allein kein modus acquirendi ist und den Staat nichts angeht. Im Grund wird auch das Übel, was die Juden alle

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