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Das antizyklische Konjunkturprogramm der Bundesregierung (20. Dezember 1974)

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Die Aussichten auf eine vorzeitige Konjunkturbelebung werden von den Unionsparteien sehr skeptisch beurteilt. Vorschläge zur Änderung des Antrags wurden indessen von der Mehrheit im Bundesrat nicht angenommen. Der bayerische Finanzminister Huber hatte sich dafür eingesetzt, statt einer Politik der kurzfristigen Geldspritzen eine steuerrechtliche Entlastung der Wirtschaft vorzunehmen. Die Einführung der Möglichkeit eines Verlustrücktrags sei deshalb eine sinnvolle Maßnahme, weil ein solches Instrument auch für die Betriebe eine Hilfe bedeute, die die Zulage wegen ihrer Unfähigkeit zur Investition nicht in Anspruch nehmen könnten. Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Westphal hatte die Einführung eines Sofortabschlags der Investitionszulage gefordert, um auch weniger finanzstarke Unternehmen in die Lage zu versetzen, ohne Vorfinanzierung der zu erwartenden Gelder zu investieren. Nach Auffassung des baden-württembergischen Wirtschaftsministers Eberle ist es nötig, eine Höchstgrenze für förderungsfähige Vorhaben bei 50 Millionen Mark festzusetzen.

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Bei der zweiten und dritten Lesung des Konjunkturprogramms im Bundestag hatte der SPD-Abgeordnete Alex Möller das vorgesehene Maßnahmenbündel als „ausgewogen und situationsgerecht“ bezeichnet. Eine tragfähige Belebung der Konjunktur sei nicht durch Subventionen zu erreichen. Das Programm stelle eine optimale Kombination der Elemente Investitionsförderung und Nachfrageverstärkung dar. Der CDU-Abgeordnete Müller-Hermann bezeichnete das Programm auf Grund der unüberschaubaren finanziellen Auswirkung auf die öffentlichen Haushalte als einen „ungedeckten Wechsel auf die Zukunft“. Der Versuch, die nachlassende Auslandsnachfrage allmählich durch eine Belebung der Binnennachfrage abzulösen, sei voller Unwägbarkeiten und Risiken. Durch sozialistische Experimente in der Steuer-, Gesellschafts- und Ordnungspolitik habe die Koalition eine Vertrauenskrise in der Industrie herbeigeführt, die sich nicht durch ein Konjunkturprogramm korrigieren lasse. Bundesfinanzminister Apel bekräftigte seine Auffassung, daß mit dem Programm ein Konjunkturaufschwung im Frühsommer zu erreichen sei.

Wesentliche Änderungen in der Regierungsvorlage, die am Mittwoch von den Bundestagsausschüssen auf Grund neuer Überlegungen der Bundesregierung vorgenommen worden waren, hat der Bundestag ohne Abstriche übernommen. Hier handelt es sich vor allem um das Gesetz über Investitionszuschüsse für Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen und Wohnheime im sozialen Wohnungsbau. Nach der verabschiedeten Fassung des Gesetzes kann jeder Bauherr von Mietwohnungen, für die er Mittel des sozialen Wohnungsbaus in Anspruch nimmt, auch die Investitionszulage von 7,5 Prozent beantragen. Dies gilt für Objekte, für die ein Bauantrag nach dem 30.11.1974 und vor dem 1.7.1975 gestellt worden ist oder deren Bau im gleichen Zeitraum begonnen worden ist. Allerdings werden nur Wohnungen berücksichtigt, die nicht zum Weiterverkauf (z. B. Eigentumswohnungen) bestimmt sind und bei denen es sich nicht um Eigentumsmaßnahmen (Eigennutzung) handelt.

Bundeskanzler Schmidt zog sich bei der Bundestagsdebatte den wachsenden Unwillen der ihn ständig lautstark unterbrechenden Oppositionsparlamentarier zu, weil er sie als eine „Bande von Zwischenrufern“ beschimpfte. Der Kanzler machte zum Abschluß der Debatte immerhin einen kleinen Rückzieher: Angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes korrigiere er seine Äußerung und sage jetzt: „Sie sind natürlich eine höchst ehrenwerte Gesellschaft.“



Quelle: „Konjunkturprogramm kann in Kraft treten – Bundestag und Bundesrat stimmen zu“, Süddeutsche Zeitung, 20. Dezember 1974.

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