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Frau Marion Beymes Erinnerungen an Marburg und Berlin während der NS-Zeit (Rückblick, Anfang der 90er Jahre)

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Frau Beyme lebt noch in Marburg, in einem hellen, attraktiven Heim, das sie selbst gestaltet hat. Sie teilt es mit ihrem zweitem Mann, Leonard Beyme, einem Volkskundler. Er ist ein Mann voll drolligem Humor. Die beiden führen ein komfortables Leben. Ihr Heim strahlt dezente Ästhetik aus und verrät in vielen Einzelheiten die begüterte Vergangenheit der Becks, etwa durch ein hübsches ovales Ölbild der Mutter und die Überbleibsel der Sammlung antiker Bierkrüge des Vaters (Frau Beyme erzählte, die meisten davon seien in den Wochen nach Kriegsende zerstört worden, als amerikanische Besatzungssoldaten sie aus dem Fenster auf den Bürgersteig warfen, offenbar nachdem sie daraus getrunken hatten). Herrn Dr. Beymes Sammlung alter Stiche von Marburg schmückt einen ganzen Raum. Überall stehen Bücherschränke mit Tausenden von Büchern darin. Der Holzfußboden glänzt, der Tee ist exzellent, und die Kräuter sind selbst in Dr. Beymes Garten gezogen.

Es war sofort klar, daß das Paar in jeder erdenklichen Weise das gebildete konservative Leben der Alten Welt führte – nur nicht politisch. Der Grund hierfür scheint weitgehend das »Dritte Reich« zu sein. Aus der passiven Nazigegnerin wurde eine aktive Antimilitaristin und Anti-Nationalistin. Doch ihre Aktivität in den achtziger Jahren war ebenso ineffektiv wie die Passivität in den dreißiger und vierziger Jahren, sagte Frau Beyme. Die Freiheit zum Protest veränderte nichts. Sie zählte alle ihre Aktivitäten gegen die atomare Rüstung auf, die ihren Worten nach ohne erkennbaren Erfolg geblieben waren. Und über das Deutschland der frühen Neunziger entsetzt zu sein und ständig darüber zu lesen, brachte ebenfalls nichts.

Doch die Lehren des »Dritten Reiches« durchziehen die Weltsicht der Beymes. Während einer ersten und ausführlichen Diskussion erwähnten sie etwa, daß sie den Grünen mißtrauten. Sie mochten deren dezidierte Bevorzugung deutscher Produkte nicht. Sie schien ihnen nationalistisch zu sein. Und als die Berliner Mauer fiel, waren die Beymes entsetzt über andere Deutsche, die in den Osten fuhren, dort ihre Autos mit billigen, staatlich subventionierten Waren vollstopften und die daheim stolz herumzeigten. »Wir sind beschämt«, schrieb mir Frau Beyme. Ihr Mann, der sich nach Tätigkeiten als Dozent, Rundfunkredakteur und einer Nebenbeschäftigung als gewaltfreier Protestierer zur Ruhe gesetzt hatte, sagte, er habe an einem bestimmten Punkt aufgegeben und arbeite nur noch in seinem Garten.

Doch Frau Beyme hörte nicht auf, ihrer Empörung Luft zu machen. Ihre Briefe an mich enthielten zumeist einen sorgsam ausgeschnittenen und mit Unterstreichungen versehenen Zeitungsartikel über irgend etwas, das sie mißbilligte, von der amerikanische Bombardierung des Irak über die westdeutsche Politik im ehemaligen DDR-Gebiet bis zu den haßerfüllten Verbrechen der Neo-Nazis. Manchmal schien es mir, sie habe nach dem Ende des »Dritten Reiches« nie wieder Ruhe gefunden – oder seit dessen Beginn.

Der Boykott jüdischer Geschäfte durch die Nazis im April 1933 könnte Marion Beck zum ersten Mal in innere Konflikte gestürzt haben. Ihre Mutter geleitete sie hindurch. »Sie ist immer noch in jüdische Geschäfte gegangen, wenn schon SA davorstand, die aufpassen mußte, wer in diese Geschäfte hineingeht. Ja, einmal weiß ich, daß ich mit reingegangen bin, obgleich ein SA-Mann in Uniform davorstand. Meine Mutter hat mir eigentlich noch Mut gemacht . . . Das war so ein großer Laden mit Nähsachen, also Stoffe und Garn und Nähnadeln und Scheren und so was, ein sehr großer Laden. Und der war natürlich vollkommen leer. Und der Besitzer kam auf uns zu. Der war so dankbar, daß noch jemand kam. Meine Mutter hatte eigentlich gar nichts zu kaufen, sie wollte ihm zeigen, ich komme noch. Und sie kaufte zwei so kleine Rollen Nähgarn. Und da sagte dieser Mann, Herr Blumenfeld, der sagte: ›Soll ich sie Ihnen nach Hause schicken?‹ Als ob wir es nicht nach Hause tragen können, dieses kleine Päckchen. Aber das war natürlich traurig, daß er das sagte. Daß er so beglückt war und so aufgeregt, daß da überhaupt noch jemand reinkam.«

Frau Beck lehnte das Angebot ab, steckte das Garn in ihre Handtasche und verließ mit Marion das Geschäft. Die Nazis an der Tür ergriffen keine Maßnahmen. »Haben wir wahrscheinlich noch ein großes Glück gehabt. Hätte noch mehr passieren können. Es ist eigentlich nichts passiert. Sie haben uns nur halb angeguckt und hätten uns wiedererkannt, aber aufgeschrieben habe sie unsere Namen nicht. Einer stand auf jeder Seite der Tür. Es war so dumm. Sie waren dahinbefohlen worden, werden sich dabei gar nicht viel gedacht haben.«

Schon bald nach ähnlichen Einkaufstouren »wurden die Geschäfte zugemacht. Dann war das Problem erledigt.« Von da an kaufte Frau Beck nicht mehr bei Nazis.

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