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Lily Offenbacher teilt dem U.S. „Coordinator of Information” ihr Wissen über das „Euthanasieprogramm” mit (September 1941)

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Hier sind einige der Fälle: Eine jüdische Mutter hatte sich geweigert auszuwandern, um ihren Sohn in einer Irrenanstalt alle 14 Tage während der Besuchszeit sehen zu können. Ihr Sohn wurde ermordet.

Die Frau eines sehr bekannten Juden in München, die an Anfällen von Kleptomanie litt, wurde beim ersten Anzeichen eines solchen Anfalls seit Jahren für einen kurzen Zeitraum nach Eggelfing gebracht. Danach kehrte sie stets zu ihrer Familie zurück und führte bis zum nächsten Anfall ein normales Leben. Ihr Mann hatte sie eben für ein paar Tage in Eggelfing untergebracht, als sie abgeholt wurde. Einige Wochen später erhielt er die Sterbeurkunde.

Eine andere Patientin, mit der ich entfernt verwandt bin, unterzog sich lediglich einer Insulinbehandlung und galt als fast geheilt, als sie verschwand und ihre Verwandten danach die Sterbeurkunde erhielten.

Ein anderer Fall ging für die Patientin besser aus. Ein Mädchen, das bemerkte, dass etwas Ungewöhnliches im Gange war, als der Bus kam, um sie und ihre Mitpatienten wegzubringen, flüchtete. Ihre Flucht blieb unbemerkt, und sie lebte ruhig bei ihren Eltern, als diese ihre Sterbeurkunde und die Urne mit der Asche erhielten.

Die Vorkommnisse glichen sich in allen Anstalten. Krankenschwestern, die wegen Patientenmangel entlassen wurden, verglichen ihre Aufzeichnungen, die alle dieselben Tatsachen enthielten.

Ich habe niemals Todesanzeigen der Art, wie Schirer sie nachdruckt, in den Zeitungen gefunden. Aber der Grund dafür ist, wie ich glaube, dass Juden keinerlei Anzeigen in Zeitungen setzen dürfen, und meine Freunde entweder jüdisch waren oder sehr arm.

Es gab auch eine andere Art von „Gnadentod“. Die Opfer waren schwer verwundete Soldaten, für die der Staat lebenslang aufkommen hätte müssen. Eine Ärztin erzählte mir von einem solchen Fall: Eine Freundin war von ihrem Mann in das Krankenhaus gerufen worden, in dem er Patient war. Er war sehr beunruhigt über den Umstand, dass er in eine Krankenstation gebracht worden war, in der jede Nacht einer seiner Mitpatienten starb. Er flehte seine Frau an, ihn aus dem Krankenhaus zu nehmen, da er bis dahin nicht den Eindruck hatte, gefährlich krank zu sein. Seine Frau setzte ihren Einfluss und ihr Geld ein, und man erlaubte ihr schließlich, ihn nach Unterzeichnung einer Erklärung mit nach Hause zu nehmen, in der sie versprach, dass weder sie noch er in Zukunft Unterstützungszahlungen vom Reich beanspruchen würden.

Leicht verwundete Soldaten wurden vom Staat sehr gut behandelt, von der Öffentlichkeit aber eher ignoriert. Das zeigt die Kriegsmüdigkeit der Menschen. Niemand bietet einem Kriegsversehrten in der Straßenbahn einen Sitz an oder äußert auf andere Weise Sympathie, wie es während des letzten Krieges der üblich war.



Quelle: Lily Offenbacher teilt dem U.S. „Coordinator of Information“ ihr Wissen über das „Euthanasieprogramm“ mit (September 1941), U.S. National Archives and Records Administration, College Park, MD, Record Group 226, Entry 16, Box 3, Dokumente 514 und 516.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche von Erica Fischer

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