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Benedikt Kautskys Beschreibung der Konzentrationslagerhierarchie (Rückblick, 1961)

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Es war also verständlich, daß Menschen, denen diese Werte etwas bedeuteten, nach solchen Stellen strebten. Es war aber auch verständlich, daß Politische, die das Zeug der Bekleidung dieser Funktionen in sich fühlten, diese Macht nicht für sich, sondern im Interesse der Allgemeinheit beanspruchten. Hätten sie es nicht getan, so wäre in vielen Lagern das Leben noch weniger erträglich gewesen, als es ohnedies war. Es lag also durchaus im Interesse der Häftlinge, daß die Politischen diese Stellen einnahmen. Persönlich bedeutete es aber eine schwere Gefährdung des Charakters, sich in dieses Netz von Intrigen einspinnen zu lassen, und es gehörte eine achtenswerte Charakterfestigkeit dazu, sich weder durch die Macht noch durch die materiellen Vorteile korrumpieren zu lassen. Dieses ehrenvolle Zeugnis muß einer Reihe von kommunistischen Funktionären in Buchenwald und von jüdischen Politischen verschiedener Richtungen in Auschwitz-Buna ausgestellt werden. Aber neben diesen leuchtenden Beispielen echten Triumphes, den der menschliche Geist und Charakter auch über die schwersten Bedingungen erfechten konnte, gab es doch auch Übergänge zu höchst bedenklichen Erscheinungen, die erkennen ließen, wie weit sich persönlich vollständig integre Menschen verirren konnten, wenn sie vermeinten, ihrer Sache zu dienen. [ . . . ]

Dieselben Erscheinungen wie in der Oberschicht der Prominenz machten sich, wenn auch vielleicht weniger intensiv, dafür mehr in die Breite gehend, in der übrigen Lageraristokratie geltend. Hierzu gehörten die restlichen Blockältesten sowie die meisten Capos, ein paar wichtige Vorarbeiter und maßgebende Funktionäre aus den vorhin angeführten Verwaltungsstellen und Werkstätten, dem Krankenbau usw. Auch hier war ein ständiges Intrigieren im Gange, aber da ihr der Zutritt zur SS weniger leicht war, wurde deren Einfluß durch den der Oberschicht ersetzt. Das machte das Intrigenspiel etwas weniger aufregend und gefährlich, da aber die Schicht, die mitspielte, viel größer war, war auch die Zahl der möglichen Kombinationen wesentlich höher.

Der Sturz auch aus den höchsten Höhen der Prominenz in die tiefsten Tiefen der Strafkompagnie und der Strafkommandos war durchaus nichts Ungewöhnliches, aber meist nichts Unwiderrufliches. Ich sah viele stürzen und wieder emporkommen, auch mehrmals, ohne daß dem Sturz etwas Ehrenrühriges angehaftet hätte, ebensowenig wie den Lagerstrafen. Die meisten machten dieses Auf und Ab mit; es gab freilich andere, die jahrelang auf demselben Posten blieben, so daß man sie als ein Stück des Inventars wie etwa die Wachtürme oder den Bunker ansah. Auch ihnen war dringend anzuraten, auf ihrer Hut zu sein und sich nicht auf das Beharrungsvermögen zu verlassen — im Gegenteil. Als einmal ein solcher Häftling bei einer plötzlichen Amtsenthebung auf seine jahrelange Dienstzeit in dieser Funktion verwies, erhielt er die Antwort: «Da wird es eben Zeit, daß du die Schippe nimmst und auf Kommando gehst».

Die Oberschicht der Prominenz war bis zum Kriegsende fast ausschließlich deutsch; in Auschwitz spielten eine Zeitlang die Polen eine große Rolle. Auch in der übrigen Lageraristokratie überwogen die Deutschen, wenn sich auch hier schon andersnationale Elemente in größerer Zahl dazwischen mengten, gegen Kriegsende sogar in steigender Zahl auch jüdische.

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