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Abschied von Bundeskanzler Konrad Adenauer (15. Oktober 1963)

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Sein politischer Stil

Gewiß, Sie haben nicht nur den Vorteil des Grundgesetzes genossen mit der starken Position, die es dem Bundeskanzler einräumt, und dem Schutz des konstruktiven Mißtrauensvotums. Noch schwerer wiegt die Tatsache, daß Sie von Anfang an in Ihren Kabinetten und Ämtern nicht wenige ganz hervorragende Mitarbeiter besaßen und daß Sie ausländische Staatsmänner hohen Ranges als persönliche Freunde gewannen. Ihr politischer Stil ist oft kritisiert worden. Indessen haben diese vierzehn Jahre deutscher parlamentarischer Demokratie gezeigt, daß anders als in der Präsidialdemokratie, geschweige gar in der Bismarckschen Reichsverfassung, der Regierungschef unserer Demokratie unablässig auf einen mindestens ausreichenden parlamentarischen Rückhalt bedacht sein muß. Es ist selbstverständlich, daß er deshalb immer versuchen wird, wenigstens seine eigene Fraktion und Koalition so geschlossen als möglich hinter sich zu bringen. Das hat natürlich zur Folge, daß ein wesentlicher, oft entscheidender Teil des Dialogs zwischen Regierung und Parlament eben nicht im Plenum, sondern vor den Fraktionen und das heißt praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit erfolgt. Man mag das bedauern, man kann das auch kritisieren, aber man täuscht sich über die Realität, wenn man daraus den Schluß zieht, daß das Parlament in unserem Staat oder seine Regierungsfraktionen die Befehlsempfänger der Regierung, genauer, des Mannes seien, der die Richtlinien der Politik bestimmt.

Dies zu tun, war nicht nur Ihr verfassungsmäßiges Recht, Herr Bundeskanzler, das war auch Ihre Pflicht! Darauf läßt sich in unserem Staat um so weniger ein Vorwurf autoritärer Herrschaft gründen, als die Regierung schließlich zur Verwirklichung ihrer Politik doch immer auf eine Parlamentsmehrheit angewiesen bleibt. Wer sich das vergegenwärtigt, wird verstehen, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sagen, daß Sie sich unablässig darum bemüht hätten, möglichst viele zu überzeugen. Darauf bleibt eben auch ein Bundeskanzler in unserem Staat unerbittlich angewiesen, und deshalb ist auch jede Bundestagswahl ein Volksentscheid für oder gegen seine Politik.

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Quelle: Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier, „Warum in dieser Stunde vom Dank die Rede ist. Der Wortlaut der Laudatio auf Konrad Adenauer. 15. Oktober 1963“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Oktober 1963, S. 11.

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