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Demokratiedefizit (5. Juni 1989)

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Als die sozialdemokratische Umweltexpertin Beate Weber einmal ein Go-in zum Rat der Fachminister wagte, wurde sie freundlich, aber bestimmt wieder hinauskomplimentiert.

Denn im Rat ist die Exekutive zugleich die Legislative, verabschiedet die Ministerialbürokratie mit ihren Ministern oder Staatssekretären an der Spitze die EG-Gesetze ohne störende Mitwirkung der Parlamente.

Nur einen Bruchteil der neuen Verordnungen nehmen die Minister bei ihren Ratstagungen überhaupt zur Kenntnis. 80 Prozent der Vorschriften werden in 150 Arbeitsgruppen unter den Beamten des Rates ausgehandelt und im Ausschuß der EG-Botschafter, einem Gremium von Spitzendiplomaten, verabschiedet.

Die Eurokraten – das sind nicht nur die 12 000 Beamten der Kommission, die den Haushalt der Gemeinschaft verwalten, die Ausführung der erlassenen Normen überwachen, neue Verordnungen und Abkommen entwerfen.

Die Eurokraten – das sind auch die rund 2000 Bediensteten des Ratssekretariats, die für den organisatorischen Ablauf Dutzender Konferenzen der verschiedenen Ministerräte sorgen und die Arbeitsgruppen betreuen sowie der halbjährlich wechselnden Präsidentschaft des Rates – derzeit sind es die Spanier – zuarbeiten.

Die Eurokraten – das sind schließlich die Divisionen nach Brüssel anreisender nationaler Beamter, die hinter den verschlossenen Türen des Ratsgebäudes Charlemagne derzeit mit ihren Brüsseler Kollegen um die Gestalt des gemeinsamen Binnenmarktes feilschen.

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Die Protokolle der Ratssitzung sind so „geheim", daß noch nicht einmal die Abgeordneten des Europaparlaments sie zu lesen bekommen. „Wie sollen bei diesem Verfahren", fragt der Sozialdemokrat Thomas von der Vring, „die Entscheidungen überhaupt kontrolliert werden?"

In Brüssel herrschen, krittelt auch der Bonner Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel, „vordemokratische Zustände". Wenn Europas Bürger im Juni wählen, dann entscheiden sie nur über die Zusammensetzung des relativ machtlosen Straßburger Parlaments, nicht aber über die Politik der Gemeinschaft. Die wird in der Kommission, der EG-Verwaltung, entworfen, die in Bonn wie in Paris jahrzehntelang als Hort außergewöhnlicher Ineffizienz galt.

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