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Bundespräsident Richard von Weizsäcker über „Deutsch-Sein” (1986)

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Eine treffende Formulierung lautet: Die deutsche Frage ist solange offen, als das Brandenburger Tor verschlossen ist. Damit ist der Kern der offenen deutschen Frage charakterisiert. Er betrifft die Freiheit der Menschen. Nirgends ist er deutlicher spürbar als im Zentrum des geteilten Berlin. Aber er betrifft nicht weniger alle Deutschen und alle Europäer.

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Auch heute bewegt sich die deutsche Frage im Spannungsfeld von Einheit und Freiheit. Aber es ist anders als damals. Der Kern der deutschen Frage ist die Freiheit. Ein Fortschritt in der deutschen Frage um den Preis von Freiheit wäre ein Rückschritt.

Geteilt sind nicht nur Berlin und Deutschland, geteilt ist die Gemeinschaft der Europäer. Die europäischen Mächte haben lange genug gegeneinander um Gleichgewicht oder Vormacht gekämpft. Sie hatten zwar dieselben historischen und kulturellen Wurzeln. Aber im Kampf um die Macht und durch die Übersteigerung der Nationalismen trat das Bewußtsein der Gemeinschaft der europäischen Völker in den Hintergrund.

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Auch bei der europäischen Konferenz für Sicherheit und Abrüstung in Helsinki ging es um diese Themen. Einheit der Europäer heißt nicht staatliche Einheit oder Gleichheit der Systeme, sondern ein gemeinsamer Weg bei menschenwürdigem Fortschreiten in der Geschichte. Die deutsche Frage ist in diesem Sinn eine europäische Aufgabe. Für ein solches Ziel in Europa mit friedlichen Mitteln zu wirken, ist vor allem Sache der Deutschen.

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Quelle: Richard von Weizsäcker, „Was ist das eigentlich: deutsch?“, in Reden und Interviews, Bonn, 1987, Bd. 2, S. 395-412.

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