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Bundespräsident Richard von Weizsäcker über „Deutsch-Sein” (1986)

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VII.

Die deutsche Geschichte ist 1945 nicht zu Ende gegangen. Seit vier Jahrzehnten gibt es auf deutschem Boden eine freiheitliche Demokratie. Auch dies ist ein Teil unserer Geschichte – ein guter Teil. Wenn heute von den Deutschen die Rede ist, dann werden Freiheit, soziale Rechtsstaatlichkeit und Demokratie mitgedacht.

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Besonders schwer lastet auf uns die Teilung. Die Menschen in der DDR tragen am schwersten an ihr. Sie leben in einem Staat und Bündnissystem des »real existierenden Sozialismus«, der ihre Erfahrungen und ihr Leben existentiell mitbestimmt. Der Begriff deutsch ist wesentlich vom politischen Schicksal der Teilung gezeichnet, aber er hat nicht selbst die Teilung mitgemacht. Die Menschen in der DDR sind Deutsche wie wir.

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Deutschland bleibt freilich trotz doppelter Randlage von den Bedingungen seiner Lage in der Mitte Europas geprägt. Zwar ist diese Mitte geteilt, aber sie bleibt Mitte. Zwei Grunddaten sind es, die sich in dieser Lage besonders auswirken.

Das erste ist die Westbindung der Bundesrepublik Deutschland. Wir gehören in den Kreis der westlichen Demokratien. Diese Westbindung unseres freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates ist endgültig und unwiderruflich. Es ist die innere Wertordnung, die uns mit denen zusammenbindet, welche denselben inneren Prinzipien verpflichtet sind.

Das zweite Grunddatum ist unsere Zusammengehörigkeit mit den Deutschen in der DDR. Daraus ergibt sich unser besonders unterstrichenes, schon durch unsere geographische Mittellage vorgegebenes Ziel, mit allen unseren näheren und ferneren Nachbarn im Osten trotz unterschiedlicher innerer Systeme in Frieden auszukommen. Die Mitte des Kontinents soll nicht Konflikte schüren, sondern blockübergreifende Kräfte der Friedensförderung stärken. Dies ist für die Deutschen im Zeichen der Teilung und im Atomzeitalter noch dringlicher als zu Zeiten Bismarcks oder gar König Heinrichs.

Die Lage, die sich aus unserer Westbindung und unserem Willen zum Ausgleich mit dem Osten ergibt, wird oft als unbequem empfunden, von Deutschen ebenso wie von unseren Nachbarn. Wahr ist, daß die Teilung den Menschen schwere Lasten auferlegt und daß sie ihnen Menschenrechte vorenthält. Wahr ist auch, daß es eine deutsche Frage gibt, die offen ist und unbequem.

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