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Der Direktor des Zentralinstituts für Jugendforschung äußert sich zur zunehmenden Entfremdung der Jugendlichen von der DDR (21. November 1988)

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Im Zusammenhang damit steht ein kritisches Verhältnis (das bis zur Ablehnung gehen kann) von formellen Institutionen und Verbänden (Schule, FDJ) bei Jugendlichen, wenn sie deren Selbstansprüche (d. h. spezielle Interessen, Bedürfnisse, Vorstellungen, Vorschläge) nicht berücksichtigen.

Umgekehrt erklärt sich daraus die Bevorzugung und Neigung zu informellen Gruppen, Cliquen, Bewegungen (Kirche, Umweltschutz, Freizeitgruppierungen aller Art).

Auch bestimmte Formen devianten Verhaltens, Jugendkrawalle, die Ablehnung der Polizei und anderer Ordnungshüter, autoritärer Erwachsener erklären sich wesentlich so. Zum Teil auch Aussteigeverhalten, Ausreisewillige u. a.

Hier ist wohl auch ein ganz anderes Gebiet einzuordnen. Der Freiheitsanspruch in der Partnerwahl, sicher auch das Phänomen der Lebensgemeinschaften, der hohen Scheidungsraten bei uns. Auch die höheren Ansprüche nach Selbstbestimmung der Frauen, besonders der jüngeren, sollten unter diesem Aspekt betrachtet werden, bis hin zu feministischen Postulaten. Ebenso der Anspruch, selbst bestimmen zu wollen, wohin man reist, was man sich gern ansehen möchte. Es ist vielversprechend, dies unter diesem Aspekt zu versuchen. Leider wird das auch unter Gesellschaftswissenschaftlern bei uns gar nicht diskutiert.

– Entwicklung der Selbstverwirklichung. [ . . . ]

Von daher versteht sich das Drängen nicht nur der jungen Menschen nach echter gesellschaftlicher Mitverantwortung, nach „selbstgewollter“ Teilnahme an demokratischen Prozessen im großen wie besonders im kleinen. Nur diese wird positiv erlebt. Das Engagement in Umweltschützergruppen, kirchlichen Gruppierungen u. a. informellen Gruppen, die Ablehnung der formalen FDJ-Arbeit sollen hier nochmals erwähnt werden. Wäre der Austritt aus der FDJ folgenlos, würden die Jugendlichen heute gewiß massenhaft den Jugendverband verlassen. Er entspricht in seinen Organisationsformen, teilweise auch in den Inhalten und Sprache, zu wenig der veränderten Mentalität der gegenwärtigen Jugend. Sie fühlen sich hier zu sehr fremdbestimmt.

– Eine weitere Komponente/Symptom des Achsensyndroms „verändertes Selbstbewusstsein“ ist das starke Verlangen/Bedürfnis nach Lebensverwirklichung. Das ist wohl nur als ein anderer Aspekt der Selbstverwirklichung zu interpretieren. Wahrscheinlich muß man dafür noch einen besseren Terminus finden.

Ich meine damit das zunehmende Streben/die Tendenz nach Lebensfreude, Lebensgenuß, nach mehr Sich-Ausleben.

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– Auch die Leistungsmotivation ist durch diesen Mentalitätswandel in charakteristischer Weise verändert. Ich-periphere Motive, d. h. auf die Gesellschaft oder auf abstrakte Werte gerichtete Wertorientierungen, treten weiter zurück, verlieren an Motivkraft, dagegen treten ich-zentrale Motive stärker hervor.

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– Nach wie vor gibt es eine Identifikation mit den großen allgemein-humanistischen Werten wie Frieden, Menschlichkeit, Solidarität, anderen Menschen helfen wollen (Hilfsbereitschaft), Gleichheit, Demokratie, soziale Sicherheit.

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