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Ein ausgebürgerter ostdeutscher Dissident erläutert die Friedensbewegung (21. Juli 1983)

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Ich denke an das Pfingsttreffen der FDJ, eindrucksvolle Bilder im Fernsehen. Was ist das, was sich da als 'offizielle' Friedensbewegung darstellt, sind das nur bürokratisch verordnete Mobilisierungen?

Ja, einerseits sind sie das. Aber ich spreche den Leuten, die dabei sind, nicht ihre ehrlichen Emotionen ab. Es ist ganz natürlich, sich gegen den NATO-Raketenbeschluß zu wenden.

Die Formen, in denen das passiert, die sind vorgeschrieben. Aber da spielt auch noch anderes mit hinein. Das ist ein Pfingsttreffen der Jugend, da kommt alles mit hin, was erleben und so... Man kann sagen, daß sicher manche dabei manipuliert werden, aber der Großteil tritt erst mal für die Sache des Friedens ein. Das Problem besteht darin, daß dann keiner über die Losungen, die offiziell vorgeschrieben sind, hinausgehen darf. Vom Westen wird es manchmal so dargestellt, als sei alles verordnet, so ungefähr: Vielleicht sind die gar nicht dagegen. Das ist Unsinn. Ich kenne niemanden in der DDR, der für den NATO-Raketenbeschluß ist, denn wenn ein Gewehr auf dich gerichtet ist, dann wirst du nicht dafür sein, daß es auf dich gerichtet ist. Und die Pershing II sind auf uns in der DDR gerichtet.

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Inwiefern sind die autonomen Friedenskreise eine isolierte Gruppe in der DDR? Gibt es eine Ausstrahlung in die übrige Gesellschaft, in Organisationen wie die FDJ zum Beispiel?

Das, was als autonome Friedensarbeit verstanden wird, wird vorwiegend von der evangelischen Kirche getragen. Und von da aus gibt es eine Ausstrahlung in die Bevölkerung, es sind ja viele Christen.

Wenn man das nun auf uns in Jena bezieht, die wir auch außerhalb der Kirche gearbeitet haben, war die Reaktion sehr unterschiedlich. Erst mal wird es wahrgenommen. Ich möchte drei Aktionen benennen: Die Schweigeminute Weihnachten, die Kundgebung zum Jahrestag der Bombardierung Jenas und die FDJ-Friedenskundgebung zu Pfingsten waren öffentlich (Für uns ist darüber hinaus auch die inhaltliche Arbeit wichtig, aber das erkläre ich gleich). Bei den öffentlichen Aktionen ist eine Ausstrahlung in die Bevölkerung da. Bevölkerung ist eigentlich schon zu weit gegriffen, denn zu den offiziellen Kundgebungen gehen hauptsächlich die Jubler, die breite Masse ist kaum dort, außer bei der FDJ, weil es da Pflicht ist. Aber viele von den 15- bis 16-jährigen FDJlern sind auf der Suche nach Neuem, bereit, sich auseinanderzusetzen mit allen möglichen Gedanken.

Bei der Schweigeminute zu Weihnachten hat die Bevölkerung durch das große Angebot an Sicherheitskräften etwas mitgekriegt. Einige sagen dann, das sind Spinner, andere beteiligen sich an der Verleumdung gegen uns: das sind Asoziale. Aber ein großer Teil weiß, worum es geht, wogegen wir uns wenden. Sie wissen es, sagen aber, es hat sowieso keinen Zweck – das ist ja die Oppositionshaltung in der DDR: zu sagen, es hat keinen Zweck. Und ein anderer Teil der Leute sagt wieder: das muß unterstützt werden, das ist gut, was sie machen.

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