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Deutsch-französische Freundschaft in der 70er Jahren (Rückblick, 1996)

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Das Schwergewicht der gemeinsamen Politik durch Valéry Giscard und mich lag indessen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. So konnten Valéry und ich unsere Kollegen in den Regierungen der übrigen Mitgliedsländer dazu gewinnen, oberhalb der wuchernden Vielzahl von Ministerratssitzungen der EG den Europäischen Rat der Regierungschefs einzurichten. Inzwischen gehen vom Europäischen Rat alle entscheidenden Direktiven aus, damit ist das Gewicht der Brüsseler Verwaltung und ebenso der nationalen Bürokratien zunächst erheblich zurückgedrängt worden. Allerdings ist es beim Europäischen Rat ähnlich wie bei den Weltwirtschaftsgipfeln inzwischen leider wieder zu einer Verwässerung durch die vorbereitende Beteiligung der Brüsseler wie der nationalen Bürokratien und durch die zu große Nähe der Fernsehreporter gekommen.

Ebenso haben Giscard und ich unsere Kollegen von der Notwendigkeit überzeugen können, dem Parlament der EG dadurch eine echte demokratische Legitimität zu verschaffen, daß seine Abgeordneten direkt von den Bürgern gewählt wurden, anstatt, wie bis dato, von den nationalen Parlamenten delegiert zu werden. Es wird jedoch noch einige Jahre dauern, bis dieses Parlament lernt, seine politischen Kontrollfunktionen voll auszuschöpfen.

Unser schwierigstes gemeinsames Projekt war die Schaffung des Europäischen Währungssystems (EWS).* Es diente mehreren Zwecken zugleich. Zum einen war uns klar, daß ein gemeinsamer Markt bei einem Dutzend verschiedener Währungen und mehreren Dutzenden von häufig sich ändernden Wechselkursen zwischen den Währungen der EG-Staaten die großen wirtschaftlichen und Wohlstandsvorteile, die von einem gemeinsamen Markt erwartet werden, nur sehr eingeschränkt ermöglichen kann. Zum anderen war uns deutlich, daß die Mehrzahl der europäischen Währungen allein auf sich gestellt den Stürmen der Weltwirtschaft, der weltweiten Währungsunordnung und speziell der Schwäche des amerikanischen Dollars nicht Paroli bieten kann. Und schließlich hatten wir drittens die spätere Schaffung einer gemeinsamen europäischen Währung im Auge, die zur inneren Festigung der Europäischen Gemeinschaft (heute EU) unausweichlich notwendig ist.

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*Ich habe darüber ausführlich in meinem Buche »Die Deutschen und ihre Nachbarn« berichtet.


Quelle: Helmut Schmidt, Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen. Berlin, 1996, S. 257-69.

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