GHDI logo

Europapolitik im Zentrum der deutschen Außenpolitik (24. Oktober 1966)

Seite 2 von 4    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Das waren die inneren Gründe, dazu kam die äußere Lage, die sehr geholfen hat, und ohne die, sagen wir es offen, es unmöglich gewesen wäre, in der sehr kurzen Zeit von acht Jahren (1949–1957) – auf dem Höhepunkt des Handelswerts des deutschen politischen Potentials – das Vertragsnetz der Nachkriegszeit zu knüpfen. Es waren die Jahre des kalten Krieges und damit eines stark ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses der freien Welt, das sich des Rückhalts auch dieses deutschen Potentials bemächtigen wollte. Deshalb hat man viele Bedenken, die überall bestanden haben, damals zurückgestellt.

Diese Zeiten haben aufgehört. Die neue Situation, die nicht die Gewähr der Dauerhaftigkeit in sich birgt, zeichnet sich seit der Kennedy-Administration, seit dem Bau der Mauer in Berlin 1961, seit Kuba 1963 ab. Diese Situation hat aufgehört in dem Augenblick, in dem man anfing, das Ende des kalten Krieges, ich sage nicht festzustellen, denn das wäre irrig, aber zu antizipieren in einer Art von außenpolitischem Wunschdenken. Die einen nennen das, was da eingetreten ist, Polyzentrismus; sie haben plötzlich entdeckt, daß der Ostblock ja auch aus Staaten besteht. Und die andern, weniger wissenschaftlich in ihrer Terminologie, nennen es schlicht Entspannung.

Was sind die Folgerungen dieser Veränderungen für uns, für Deutschland und für seine Europapolitik? Sind sie von der Art, daß sie auch die Europäischen Gemeinschaften in Frage stellen? Nun, das bleibt kühl und gnadenlos gegenüber uns selbst zu prüfen. Wir müssen dieses ganze Gebäude der Nachkriegsverträge abklopfen, daraufhin, ob das noch hält, oder ob es brüchig ist. Wir müssen uns auch Rechenschaft darüber ablegen, was eigentlich hinter dem steckt, was die andern als Polyzentrismus und Entspannung denken und empfinden. Auch soweit wir ihnen nicht folgen, sind diese subjektiven Tatsachen doch Gegebenheiten des politischen Geschehens, und wir haben sie in Rechnung zu stellen. Bei unserer Prüfung haben wir als entscheidendes und durchaus legitimes Kriterium für die Unterscheidung zwischen dem, was brauchbar ist, und dem, was nicht brauchbar ist, die Frage zu nehmen, ob und inwieweit diese Verträge auch heute noch unseren Interessen dienen. Das schließt die Frage ein, welches sind denn unsere Ziele? Eine Frage, die vielfach verabsäumt wird; Gott sei es geklagt.

[ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite