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FDP als Zünglein an der Waage (2./3. Oktober 1982)

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Ich kann das um so leichter sagen, weil ich ja schon am 9. September, Herr Bundeskanzler, als Sie zum erstenmal von Neuwahlen sprachen, als einziger hier eine andere Meinung vertreten habe. Wir waren uns beide in einem Gespräch darüber klar, daß das Grundgesetz unterschiedliche Möglichkeiten zuläßt. Aber ich wiederhole, was ich Ihnen sagte: Ich bin zutiefst überzeugt davon – das ist meine ganz persönliche Meinung –, daß das Grundgesetz in erster Linie das Parlament aufruft zu handeln und nur dann, wenn es nicht handeln kann, die Neuwahl als letzte Möglichkeit vorgesehen ist.

Dieses Verfassungsverständnis mag heute stärker als Anfang der siebziger Jahre im Widerspruch stehen zu dem allgemeinen Empfinden. Dies bestreite ich nicht. Und daß es harter Diskussionen bedarf, um dies sichtbar zu machen und deutlich zu machen, wird eine gemeinsame Aufgabe sein. Ich füge sofort hinzu, um hier gar keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Es ist eine Vereinbarung in der Koalition getroffen worden. Ich habe gelernt, Mehrheiten zu respektieren. Ich erwarte von meinen Freunden, daß sie Mehrheiten respektieren. Ich respektiere auch Mehrheiten, wenn sie in einer Koalitionsvereinbarung für die Zukunft festgelegt werden. Ich bitte deshalb, nicht aus meiner grundsätzlichen Auffassung, die ich nach wie vor habe, etwa den Versuch des Herausgleitens aus einer Vereinbarung zu sehen. Aber ich halte es für die Pflicht, die grundsätzliche Meinung auch in diesem Augenblick in der gleichen Deutlichkeit darzulegen, wie ich das vor wenigen Tagen getan habe, weil das auch zur Glaubwürdigkeit gehört, die ja mehrfach beschworen worden ist.

Meine Damen und Herren, diese Pflicht zum Handeln steht ja auch nicht im Widerspruch zur Auffassung, die in diesem Hause schon geäußert worden ist. Herr Bundeskanzler, Sie haben als Vorsitzender der SPD-Fraktion in einer Antwort auf meine Rede, die ich damals zur Regierungserklärung der Großen Koalition zu halten hatte, wörtlich gesagt: »Es war das Parlament, das aus sich heraus die neue Regierung geschaffen hat – ein Beweis für die Funktionstüchtigkeit des Deutschen Bundestages.« Ich stimme Ihnen voll zu. Heute sind nicht die gleichen Umstände, aber ähnliche Umstände. Und Helmut Schmidt hat damals weiter gesagt, eine Regierung muß nach den Möglichkeiten einer arbeitsfähigen Mehrheit gebildet werden. Dies soll geschehen.

Oder wenn jemand – dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger zustimmend – zitierte, daß die neue Regierung, wörtlich, nicht aus einem glänzenden Wahlsieg hervorgegangen sei, sondern aus einer von unserem Volk mit tiefer Sorge verfolgten Krise. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wenn man von Glaubwürdigkeit spricht, dann bitte ich auch, die Glaubwürdigkeit, die die damalige Äußerung hatte, nicht, wenn es in einer anderen Konstellation genauso zutrifft, in Zweifel zu ziehen.

Ich wiederhole, daß die Interessenlage bei solchen Situationen sich verändern kann. Ich werfe niemandem vor, wenn er aus seiner Interessenlage zu anderen Entscheidungen kommt. Da, wo ich aber das Gefühl bekomme, daß die eigene Interessenlage dann plötzlich verbrämt werden soll mit dem Vorwurf, die Interessenlage der anderen oder deren Entscheidungsbereitschaft sei gegen Recht und Sitte, muß ich darauf verweisen, daß Recht und Sitte im Grundgesetz den hier vorgesehenen Weg absolut legitimiert. Und wer dies bezweifelt, muß den Mut haben zu sagen, daß er das Grundgesetz in diesem Punkt für falsch hält oder ändern will.

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