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Die westliche Allianz und der NATO-Doppelbeschluss (14. Dezember 1979)

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Hätten die europäischen Mitglieder der Allianz ihre Zustimmung verweigert, so wäre der amerikanische Partner des Paktes mehr oder minder aus der Verantwortung für die Abschreckung entlassen worden und der sowjetische Gegner hätte die Möglichkeit bekommen, die Einschüchterung der NATO-Staaten erfolgreich zu betreiben. Die Atomgarantie Amerikas für Europa setzt ja voraus, daß die Führungsmacht Kernwaffen bereitzustellen vermag, die zur Strategie der „Flexible Response" passen. Die Gemeinschaft kann von den USA im Ernstfalle keine Eskalation der großen Sprünge erwarten, die in der Schlacht um unseren Kontinent vorzeitig zum totalen Schlagabtausch mit der UdSSR führen würde. Aus eigenem Interesse muß diese Gemeinschaft dafür Sorge tragen, daß ihr stärkstes Mitglied die Fähigkeit zu einer Eskalation der kleinen Schritte entwickelt, die den Erfordernissen der Konzeption entspricht. Militärisch und politisch verbreitert und vertieft sich damit ihre Bindung an unseren Erdteil, nimmt die Glaubwürdigkeit ihrer Schutzbürgschaft folglich zu.

Dieser Einsicht ist das energische Engagement Londons und Bonns für die Planung zu danken, dem sich Rom durch eine erfreulich feste Haltung angeschlossen hat. Washington will seinen Einsatz für die Sicherheit des Westens beträchtlich steigern, um der Herausforderung des Ostens zu begegnen. Es macht seinen Beitrag für das Bündnis freilich von den Leistungen der Bundesgenossen abhängig, die dazu dienen, dem atomaren und konventionellen Druck Moskaus Paroli zu bieten. Werden die Alliierten dies Junktim beachten, also ihren jeweiligen Militäretat erhöhen, wird es nicht noch einmal dazu kommen, daß, wie im deutschen Etat, die Erhöhung um real drei Prozent nachträglich relativiert wird?

Insgesamt scheint US-Außenminister Vance keinen schlechten Eindruck von der NATO-Tagung davongetragen zu haben. Er gab zu verstehen, daß man mit dem holländischen Alleingang fertig werden könne, und schien Belgiens bedingte Zustimmung ebenso für ein „Oui" zu halten wie am Tag darauf die belgische Presse.

Präsident Carters Rede demonstriert, daß die Worte durch Taten gedeckt werden. Die sowjetische Rüstung im Zeichen der „Entspannung" hat ihn überzeugt; sein Programm sieht für fünf Jahre eine Erhöhung des Wehretats pro Jahr um echte 4,5 Prozent vor. Aus Washington weht mithin ein anderer Wind. Die NATO sollte die Zeichen der Zeit verstehen, solidarisches Verhalten beweisen und die Risse in den Reihen der Alliierten bald schließen. Die Sowjets haben Einflußmöglichkeiten, aber Amerika hat sie gottlob auch – in unvergleichlich größerem Maße.



Quelle: Wolfram von Raven, „Das Zeichen von Brüssel“, Die Welt (Ausgabe Berlin), 14. Dezember 1979.

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