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Gedicht über die Katastrophe von Tschernobyl (23. Mai 1986)

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Beschwichtigung von Ignoranten.
Sie sehen nichts,
sie hören nichts,
sie lernen nichts.
Sie haben nur gelernt, wie man Wahlen gewinnt.

Was haben wir gelernt?
Es reicht nicht, gegen das Informationschaos
und den Beschwichtigungsnebel der Regierung zu protestieren.
Es reicht nicht, mehr Schutz und Sicherheit zu fordern.
Es reicht nicht,
weil uns so eindrucksvoll wie noch nie bewiesen wurde,
in welchem Ausmaß die Politiker
der Lage nicht gewachsen sind.
(Dabei war Tschernobyl nur ein Unfall.
Stellen wir uns vor, es explodieren Sprengköpfe.)

Auswandern? Emigrieren?
Aber wohin?
Jetzt werden wir nicht mehr sagen können,
wir hätten von nichts gewußt.
Wir können nicht fliehen und emigrieren.
Die Welt wird immer mehr zu unserem eigenen Gefängnis.
Zum Gefängnis des atomaren Fortschritts.

Wenn wir heute nichts dagegen unternehmen,
werden sie sich morgen bedanken
für unser Stillhalten und unsere „Vernunft".
Jeder muß überlegen, was er tun kann.
Jeder an seiner Stelle.
Dieses Mal vergessen wir's nicht.



Quelle: Inge Aicher-Scholl [anonym veröffentlicht], „Sie haben versagt“, Die Zeit, 23. Mai 1986.

Copyright © von Manuel Aicher, Dietikon.

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