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Joschka Fischer wird erster grüner Umweltminister (4. November 1985)

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Rasch geriet der schwäbische Außenseiter ins Zentrum der linksliberalen Szene am Main. Mentor des Metzgersprößlings wurde der SDS-Führer Hans-Jürgen Krahl, und die revolutionäre Perspektive vermittelten Genossen wie der De-Gaulle-Herausforderer Daniel Cohn-Bendit, der Sexualforscher Reimut Reiche, die SDS-Anführer Frank und K. D. Wolff, Mathias Beltz (heute „Vorläufiges Frankfurter Fronttheater“) und Bankiersohn Tom Koenigs, jetzt Stadtverordneter in Frankfurt und demnächst Fischers Haushaltsexperte im Umweltministerium.

Mit anderen Aktivisten gründeten diese Spontis eine militante Gruppe, den „Revolutionären Kampf“ (RK). Fischer, dessen rhetorisches Talent bei den Studierten aufgefallen und gefragt war, wurde einer ihrer Wortführer. „Joschka“, erinnert sich der ehemalige SDS-Führer und RK-Fighter Frank Wolff, „traf den Ton am besten“, außerdem „umgab ihn eine gewisse proletarische Aura“.

Der schwäbische Rebell mischte in der „schlimmen Zeit der offenen Revolten“, von 1968 bis 1975, immer in vorderster Front mit. „Da gingen sämtliche Etappen ab bis zur harten Randale“, und Joschka war „der Kriegshäuptling“ der Frankfurter Straßenschlachten, flink mit der Zunge und flott auf den Beinen.

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Den menschenvernichtenden Terror der Baader/Meinhof-Gruppe identifizierte Fischer allerdings sehr früh als „Irrweg“ (Koenigs). Die gesellschaftliche Veränderung herbeizubomben war seine Sache nicht. Der Straßenkämpfer über den Rote-Armee-Fraktions-Führer Andreas Baader: „Ich fand ihn zum Kotzen.“

Bei seiner ersten großen Rede nach dem Tod von Ulrike Meinhof rief er auf dem Frankfurter Römerberg im Juni 1976 zum „Bruch mit dem bewaffneten Kampf“ auf – kurz nachdem zwei RAF-Bomben im Frankfurter US-Hauptquartier explodiert waren. Fischer damals: „Wir können der Stadtguerilla nicht folgen. RAF-Aktionen bedeuten den Verzicht auf Leben, den Kampf bis zum Tod und damit die Selbstvernichtung.“

Der Aufruf des Oberspontis („Genossen, schmeißt die Bomben weg und nehmt wieder die Steine“) markierte so etwas wie den Anfang vom Ende des RAF-Terrors. „Joschka“, sagt Koenigs, „hat die Szene von der RAF getrennt.“

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Ausgerechnet einer der härtesten Streetfighter war einer der ersten, die sich der neu entstehenden sanften grünen Bewegung anschlossen, „für viele ein Schock“. Dort sah Fischer plötzlich eine „realpolitische Möglichkeit“, aus dem „fortschrittsgläubigen Marxisten und Sponti“ wurde ein Grüner.

Fischer brach mit den Spontis („die waren am Ende“). Nach dem grünen Wahlerfolg bei den hessischen Kommunalwahlen 1981, als im Römer fundamentaloppositionelle Grüne das Sagen hatten, dirigierte Fischer im grünen Kreisverband bald die Fraktion der Realpolitiker: „Wir können nicht lediglich im Parlament predigen, daß es fünf vor zwölf ist, und uns weigern, Verantwortung zu übernehmen.“

Die Fundis, die ihn als „Ober-Macker“ beschimpften, stachelten seinen Ehrgeiz an. Joschka erkämpfte sich vor der Bundestagswahl 1983 Platz drei der Landesliste, und am Morgen nach der Wahl, sagt er, „bin ich als Abgeordneter aufgewacht“. Fischer: „Mein neuer Einstieg in die Wirklichkeit.“

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