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Joschka Fischer wird erster grüner Umweltminister (4. November 1985)

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Der Nutznießer ist Holger Börner („Diese Geschichte bringt mir 50 000 Jungwähler“), den der SPD-Vorsitzende am vergangenen Montag im Parteipräsidium mit demonstrativer Herzlichkeit begrüßte. „Ich bin der einzige“, deutete der Hesse den freundlichen Empfang, „der es so gemacht hat, wie Willy wollte.“ Wie Brandt visiert auch Börner das Nahziel an, im Frühjahr mit einem SPD-Ministerpräsidenten in Niedersachsen die Bundesratsmehrheit der Union zu knacken, um Kohl das Regieren schwerer zu machen.

Zwar will der niedersächsische Spitzenkandidat Gerhard Schröder das Hessen-Modell noch nicht übernehmen. Aber andere führende Sozialdemokraten unterstützen Börners Kurs. SPD-Präside Erhard Eppler verteidigt das rot-grüne Bündnis mit dem Hinweis auf den saarländischen SPD-Umweltminister Josef Leinen, der wie Fischer Ökonomie und Ökologie auf einen Nenner bringen will: „Warum ist eigentlich ein Joschka Fischer in Hessen etwas anderes als ein Jo Leinen im Saarland?“

Der Unterschied liegt in der Biographie. Im Handbuch des Bundestages, in dem die Abgeordneten gern ausführlich darlegen, wie viele Ämter sie haben und was sie alles können, kam Fischer, bis März 1985 Grünen-MdB, mit zwei Zeilen aus: „Geboren am 12. April 1948. Mitglied des Bundestages seit 1983.“

Das liest sich, als sei in den Jahren dazwischen nicht viel gewesen und als wolle sich da einer von seinem Leben distanzieren. Fischer aber bekennt sich zu seiner Biographie: „Von dem, was in meiner Akte beim Verfassungsschutz liegt, mal abgesehen, habe ich nichts zu verbergen. Ich stehe zu meiner Geschichte.“ Joschka, aufgewachsen im streng katholischen Fellbach am Stadtrand von Stuttgart, stammt „aus einem Metzgergeschlecht“. Vater und Großvater waren Fleischhauer, „hauptberuflich“, und beide natürlich „Katholiken“. Zum braven Ministranten im rot-weißen Hemdchen taugte Joschka allerdings nicht, er wurde Radrennfahrer.

In der zehnten Klasse hatte er vom Gymnasium genug und begann „mit viel Spaß“ eine Photographenlehre. Der Spaß währte ein Jahr. Angetörnt von Bob Dylan und den Beatles, frönte er „dem neuen Lebensgefühl“ der sechziger Jahre und entfloh mit sechzehn dem „engen Zuhause, dem Dorf und der Lehre“.

In Hamburg schnappte ihn die Polizei und karrte ihn ins Schwäbische zurück. Beim zweiten Versuch seiner „Europa Tournee“ (Fischer) kam er bis Kuweit – ein Aussteiger der frühen Jahre.

Wieder daheim, jobbte Run-away-Joschka kurzzeitig als Hilfssachbearbeiter beim Arbeitsamt, Abteilung Kindergeldkasse. Auch ein zweiter Anlauf als Photo-Lehrling scheiterte.

Das war zu der Zeit, als Ludwig Erhard noch Kanzler war und Intellektuelle, die ihn verhöhnten, als „Pinscher“ beschimpfte. Joschka las Jack Kerouac, den Literaten der „beat generation“, und verliebte sich „unsterblich“ in Edeltraud, eine 17jährige Schwäbin. Die beiden heirateten 1968, noch nicht volljährig, im schottischen Gretna Green.

Fasziniert von den Studentenprotesten gegen den Vietnamkrieg und voller Wut über den Tod des Demonstranten Benno Ohnesorg und den Mordanschlag auf Rudi Dutschke (Fischer: „Die Schüsse in Berlin haben mich aufgeweckt“), zogen die Jungvermählten nach Frankfurt. Dort, in einer der Metropolen des studentischen Aufruhrs, wollte der Gymnasiast ohne Abschluß und ohne Ausbildung das Abitur nachmachen, um an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Kant, Marx und Hegel studieren zu können.

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