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Bürgerbewegungen zwischen friedlichem Protest und Gewaltausbrüchen (5. August 1977)

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Wann wird Widerstand zur Pflicht?

Da werden, ähnlich wie bei der Studentenbewegung, die Ausnahmerechte aus ungewöhnlich hoher moralischer Zielsetzung begründet. War es dort die freie Gesellschaft, die als Rechtfertigung der Grenzüberschreitung diente, so ist es hier der Schutz des Lebens, das erste und wichtigste Grundrecht, das fast alle Mittel heiligt. Wo Politik sich vor diesem Grundrecht schuldig macht, muß sie bekämpft werden – und dies ist eine Überzeugung, die keineswegs nur die laute, gewalttätige Radikalität von K-Gruppen prägt, sondern auch den stillen Fanatismus, der aus bemühter Rechtschaffenheit gewachsen ist. Schließlich lautet auch das Motto für den Entwurf des BBU-Aktionskatalogs: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

In den Initiativen ist die Gewißheit weit verbreitet, daß sie das wichtigste Instrument der Basisdemokratie sind, daß sich in ihnen das Volk zu Wort meldet. Daß es sich vorläufig um eine Minderheit handelt (je nach Umfrage sind 20 bis 40 Prozent Gegner der Kernenergie), stört dabei wenig. Wenn den Bürgern erst einmal die Schuppen von den Augen gefallen sind, wenn sie die verdummende Propaganda durchschaut haben – so lautet die Argumentation, und da schimmert die Ähnlichkeit zur Studentenbewegung wieder durch –, wird die Bewegung über eine Mehrheit in diesem Lande verfügen.

Innerhalb der Umweltschutz-Bewegung ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal die Einstellung zur Gewalt. Der jüngst zurückgetretene BBU-Vorsitzende Wüstenhagen (von rechts angefeindet, weil er vor 30 Jahren in die Nähe der Kommunisten geraten war; von links, weil er für ein Forschungsprojekt des „Umweltwissenschaftliches Instituts“ Mittel des Bundes in Anspruch genommen hatte), ist vor allem wegen seiner (relativ) gewaltlosen Politik attackiert worden. Da gab es kaum eine größere Veranstaltung der Umweltschützer, wo nicht Vertreter der K-Gruppen Wüstenhagen (und damit die BBU-Führung) der mangelnden Solidarität ziehen – so jüngst in Frankfurt, als eine junge Kommunistin als heilige Johanna der Kernkraftwerke in die Schranken trat und Wüstenhagen vorwarf, er unterscheide tatsächlich zwischen Gewaltbefürwortern und Gewaltgegnern. „Wer ist da der Spalter?“, so fragte sie mit schneidender Logik. „Wir benutzen die Frage der Gewalt nicht als Trennungsstrich.“

Wie früher in der Apo, so wird auch jetzt die „Gewalt gegen Sachen“ von der „Gewalt gegen Personen“ getrennt. Gewalt gegen Personen, von manchen K-Gruppen in Brokdorf und Grohnde gesucht oder in Kauf genommen, wird von der überwältigenden Mehrheit der Bürgerinitiativen abgelehnt. Illegale Aktionen dagegen, ein bürgerlicher Ungehorsam, der Gewalt gegen Sachen nicht ausschließt – das ist auch im jüngst verabschiedeten Entwurf des BBU-Aktionskatalogs zu finden.

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