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Bürgerbewegungen zwischen friedlichem Protest und Gewaltausbrüchen (5. August 1977)

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Ganz gewiß eine Volksbewegung aber stellen die Bürgerinitiativen für den Umweltschutz dar, und in den letzten Jahren sind sie wohl weit über den ursprünglichen Anteil von 17 Prozent hinausgewachsen. Ihr emotionales und politisches Zentrum ist der Kampf gegen die Kernenergie. Ihre Stimmungslage ist ähnlich wie bei der studentischen Rebellion der sechziger Jahre: Ihre Enttäuschung über die Etablierten sitzt tief; sie sehen überall das häßliche Gesicht des Systems.

„Innerparteiliche Auseinandersetzungen und Intrigen, von Parteipolitikern verursachte Skandale und Affären, Vetternwirtschaft, öffentliche Konfrontation der Parteien auf so ziemlich allen Gebieten . . . “, so malt Hans Günter Schumacher, stellvertretender Vorsitzender des BBU, das Bild der Parteien. Sein Urteil über die Fähigkeit des politischen Systems, Probleme der Bürger aufzugreifen, ist vernichtend: „Das Wort von der ‚Volkspartei’ dürfte zur Zeit weder für die CDU/CSU noch für die SPD zutreffen. Der Verfassungsauftrag, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ist verfälscht. Aus ‚Mitwirken' wurde in vielen Fällen Machtanspruch. Die so häufig beschworene Bürgernähe entpuppt sich immer mehr als Bürgerferne, ja als Bürgerfeindlichkeit. Aktuelle Beispiele wie Gebietsreformen, Rentendebakel, Streckenstillegungspläne der Bundesbahn, Kostenexplosion im Gesundheitswesen, Konzeptionslosigkeit in der Energiepolitik und vieles andere mehr verdeutlichen, wie verbürokratisiert unser öffentliches Leben, wie selbstherrlich unser Staat und seine Instanzen geworden sind.“

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Ähnlich wie bei der Studentenbewegung ist auch bei den Umweltschützern ein sehr starkes Elitegefühl vorhanden. Zum Teil erklärt es sich daraus, daß sich in den Initiativen tatsächlich viele engagierte Idealisten sammeln, zum anderen aber findet sich dort häufig die elitäre Überzeugung, das politische System durchschaut und dessen Hauptgefahr erkannt zu haben: Es schlittert führungslos in die Welt der Nuklearzivilisation hinein. Die Entscheidung für oder gegen Kernenergie macht bei vielen Umweltschützern den Unterschied zwischen falschem und richtigem Bewußtsein aus, und aus der Wahrheitsgewißheit entspringt der missionarische Eifer.

Eine dritte Ähnlichkeit zur Apo der sechziger Jahre springt ins Auge: Aus der Gewißheit, die Wahrheit erkannt zu haben, wächst die Unfähigkeit zum Kompromiß. Was im politischen Geschäft unvermeidlich ist, ja, was normale Politik erst möglich macht, die Organisation des Kompromisses, ist bei den Umwelt-Bürgerinitiativen völlig unterentwickelt. Und aus dieser Unfähigkeit zum Kompromiß entsteht die Neigung, im Namen der Legitimität die Legalität zu durchbrechen; die Grenzen der Gewalt werden unscharf, von einigen besonders militanten Gruppen werden die Grenzen überhaupt nicht mehr anerkannt.

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