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Ursprung, Motive und Strukturen von Bürgerinitiativen (27. Oktober 1973)

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Das Problem, das hier deutlich wird, legt die Frage nahe, die in der Diskussion um die Bürgerinitiativen immer wieder auftaucht: ob hinter solchen Aktionen manchmal oder gar meistens nicht nur blanker Eigennutz steht. Bilstein, Mitglied der SPD, beschreibt dieses „wohl wichtigste Negativ-Potential“ so: „Bürgerinitiativen können, da sich ihre Mitglieder oft ausschließlich aus oberen Sozialschichten rekrutieren, Themen aufgreifen, die lediglich im traditionell bürgerlichen Interessenbereich liegen und deren Erfolge nur dem besitzständlerischen Gruppeninteresse der ohnehin Privilegierten zugute kommen.“

Die Einstellung der parlamentarischen Parteien zu Aktivitäten von Bürgern im Vorfeld der politischen oder administrativen Entscheidungen läßt sich ganz allgemein als „distanziertes Interesse“ umschreiben. Nicht zufällig stimmen entsprechende Äußerungen der Hamburger Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD weitgehend überein.

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Der Politologe Professor Udo Bermbach von der Hamburger Universität sieht in solchen Aktionen ein notwendiges Element der Unruhe und der heilsamen Verunsicherung gegenüber der Verfestigungs- und Verfilzungstendenz innerhalb der Technokratie. Bermbach, der selbst in der Bürgerinitiative „Hamburg 13“ mitgearbeitet hat, beurteilt die Zukunft und die übergreifende politische Wirksamkeit dieser Bürgerbewegung allerdings eher skeptisch. Bürgerinitiativen seien im Sinne der amerikanischen Single „purpose movements“ als radikaldemokratische Gruppierungen gewissermaßen „Einzweckbedingungen“, die eine bestimmte Initiative an die Parteien oder die Verwaltung weiterleiten könnten. Zu weiterreichenden Strategien aber fehlten ihnen die konzeptionellen Voraussetzungen. In der jüngsten Ausgabe der von Bermbach mitredigierten „Zeitschrift für Parlamentsfragen“ kommt eine Forschungsgruppe an der Berliner Freien Universität in einer Analyse von Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik und in West-Berlin zu ähnlichen, empirisch belegten Ergebnissen.

Auch sie bestätigen den offiziell schwachen Anteil von Kommunisten an Bürgerinitiativen. Von den drei parlamentarischen Parteien sei die FDP stark überrepräsentiert, was sich auch an Hamburger Beispielen beobachten läßt. Daß die Freien Demokraten sich gelegentlich als „Partei der Bürgerinitiativen“ erklären, wird unter anderem auf die Abwesenheit eines Globalprogrammes zurückgeführt, das ein konstitutives Merkmal bürgerlicher „Einzweckbewegungen“ ist, und auf die soziologische Zusammensetzung vieler Initiativgruppen. Auch hierzu liefert jene Berliner Untersuchung einiges Beweismaterial zu früher geäußerten Vermutungen, die Bürgerinitiativen rekrutierten sich vornehmlich aus Angehörigen der oberen Mittelschicht, mit einem starken Anteil der jungen Familien. „Die meisten Bürgerinitiativen setzen sich aus 25- bis 40jährigen zusammen“, heißt es in der Analyse, wobei der Anteil der freien Berufe mit knapp fünfzig Prozent ebenso auffallend ist wie die Zugehörigkeit der Mitglieder zu Erziehungsberufen (etwa ein Drittel). „Kein einziges Mal gehörte ein Arbeiter zum informellen Führungskreis.“



Quelle: Klaus Wagner, „Die Bürger wehren sich. Partizipation oder: Die einzige Alternative? Bürgerinitiative am Beispiel Hamburg“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.Oktober 1973.

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