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Frauenemanzipation auf dem Vormarsch (22. April 1977)

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Kinder — was soll's

Für die Frauen kommt noch die Diskriminierung in der Berufswelt hinzu. Für sie hält der Arbeitsmarkt vorwiegend die Textil- und Bekleidungsbranche, das Dienstleistungsgewerbe und Berufe im Gesundheitswesen bereit. 77 Prozent der erwerbstätigen Frauen sind in nur 16 Berufen tätig. Obgleich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg jetzt ermittelte, daß Frauen sehr wohl über ein Drittel der Arbeitsplätze einnehmen könnten, die Männer besetzt halten, sind rund 480 000 Frauen arbeitslos. Es fehlt ihnen nicht nur an der „entsprechenden Qualifikation", wie Vorgesetzte dem Berufsforschungs-Institut verrieten; sie werden im Einvernehmen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber auch noch vorzeitig aus der Berufswelt hinauskatapultiert.

Daß Frauen mit 60 Jahren bereits ins Rentenalter eintreten können, hat Unternehmer und Arbeitnehmer-Vertreter das Wort von der „Betriebsvereinbarung" erfinden lassen. Berufstätige Frauen, die das sechzigste Lebensjahr erreicht haben, müssen oft genug ihren Platz räumen. Ausnahmen werden nur bei Härtefällen gemacht. Und was ein Härtefall ist, entscheiden wiederum Betriebsrat und Arbeitgeber.

Die Generation dieser alleinstehenden Frauen ist sowieso übel dran. In den Kriegs- und Nachkriegsjahren haben sie meist ihren Beruf vorübergehend aufgeben müssen, weil der Gesellschaft die Nachkriegsgeneration aufzuziehen, für die Gesellschaft Nachkriegsaufbauarbeit zu leisten gewesen war. Ausfalljahre in der Rentenversicherung hat ihnen der Staat dafür nicht angerechnet. Sie waren ja weder Soldaten noch in der Kriegsgefangenschaft. Vergleichbar ist die Situation der jungen Mütter. In ihren „109 Tips für die Frau" versicherte im April 1976 die Bundesregierung großartig: „Eine Frau kann auch nach der Schutzfrist kündigen, um sich ihrem Kind besser widmen zu können." Daß eine Frau — befolgt sie diesen Rat — keinen Anspruch auf ihren ehemaligen Arbeitsplatz hat, wie etwa der für die Bundeswehr freizustellende Soldat, verschwiegen die Koalitionspolitiker in ihrer Informationsschrift vor dem Bundeswahlkampf.

Berufstätige Frauen haben da noch weitere Nachteile in Kauf zu nehmen. Und so träumen sie noch immer vom gleichen Lohn für gleiche Arbeit, von mehr Verantwortung und weniger untergeordneten Positionen. Die Flucht in den Haushalt ist meist das Ergebnis ihrer schlechten Erfahrungen im Berufsleben. In diesem Sinne zweideutig muß wohl auch das beurteilt werden, was das Familienministerium ermittelte: Von den rund 550 000 berufstätigen Müttern mit mindestens einem Kind unter drei Jahren wären zwei Drittel bereit, für ein Erziehungsgeld ihre Arbeit aufzugeben. Was aber nicht gleichzeitig heißen muß, daß sie auch ihren Beruf aufgeben wollen, schon gar nicht für immer.

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