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Auszug aus dem Staats-Lexikon: „Constitution” (1845-1848)

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5) Neben der gesetzgebenden und der Verwaltungs-Gewalt, überhaupt unabhängig von allen Inhabern der Gewalt, muß eine Autorität bestehen, welche über das in concreten Fällen streitige oder zweifelhafte Recht entscheide, d. h. den rein wissenschaftlichen oder der unbefangenen Urtheilskraft anheimzustellenden Befund ausspreche über das, was – den bestehenden Gesetzen gemäß – Recht oder nicht Recht und was demnach von den constituirten Gewalten als solches zu handhaben und zu vollstrecken sei. Die Errichtung unabhängiger, möglichst zuverlässiger Gerichte ist hiernach ein weiterer Hauptartikel einer constitutionellen Verfassung.

6) Zur Erhaltung der Lauterkeit der Volksrepräsentation sowie der dem Zweck ihrer Aufstellung gemäßen Richtung der Regierung muß dem Volk und jedem Einzelnen im Volke die Kenntnißnahme von den öffentlichen Angelegenheiten und auch die Meinungs- oder Urtheilsäußerung über den Gang ihrer Verwaltung unbedingt frei stehen. Die öffentliche Meinung, welche fast gleichbedeutend ist mit dem vernünftigen Gesammtwillen, soll überall ungehindert sich entfalten und aussprechen dürfen und es sollen ihr die Thatsachen, worüber sich auszusprechen sie das Recht und den Beruf hat, unverschleiert und unverfälscht zur Kenntniß gebracht werden. Oeffentlichkeit der Regierungs-Beschlüsse sowie der landständischen oder Volksvertretungs-Verhandlungen und Freiheit der Presse sind daher wesentliche Artikel einer constitutionellen Verfassung.

7) Der Begriff eines gesellschaftlichen Vereins und des ihm einwohnenden lebenskräftigen Gesammtwillens führt jenen der Gleichheit und Freiheit der Gesellschaftsgenossen mit sich. Das constitutionelle System statuirt demnach die gleiche Theilnahmsberechtigung an den Wohlthaten des Staatsverbands, die gleiche (gesetzliche und gerichtliche) Gewährleistung der persönlichen Freiheit sowie des rechtmäßigen Besitzes und Erwerbes für Alle, den gleichmäßigen Anspruch aller Fähigen auf Aemter und Würden, und hinwieder auch die gleiche Verpflichtung durchs Gesetz, die gleiche Unterwerfung unter die rechtmäßig bestehenden und ausgeübten Gewalten und die gleiche, d. h. dem Maß des empfangenen Schutzes für Besitz und Erwerb entsprechende – Theilnahme an den Lasten des Staates.

8) Zu den auf die Forderung der Freiheit und Gleichheit sich gründenden Rechten jedes constitutionellen Staatsbürgers gehören zumal auch die Freiheit der Gottesverehrung (so lange diese nicht in an und für sich Rechts- oder Sittlichkeits- oder Ordnungs- und Sicherheits-widrigen Handlungen besteht) und jene der Auswanderung, d. h. der Lostrennung vom Staatsverbande, dessen blos freier Genosse nehmlich, nicht aber Leibeigene der constitutionelle Bürger ist.

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