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Ein Separatfrieden mit Russland? (19. November 1914)

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Nimmt man alles in allem, so muß man trotz aller Zuversicht die Situation als ernst bezeichnen. Typisch ist vielleicht die Entwicklung der Dinge bei Ypern. Trotz größter Bravour unserer Truppen gelingt kein entscheidender Schlag, sondern nur ein schritt weises Vordringen bei partiellen Mißerfolgen und allgemeinen ungeheuren Verlusten.

Dem fortgesetzten Drängen des Generals von Falkenhayn auf Separatverständigung mit Rußland kann ich mich deshalb nicht entziehen. Die Möglichkeiten dazu müssen mindestens bis zum Ende durchgedacht werden. Anzeichen dafür, daß Rußland zur Verständigung bereit wäre, liegen mir einst weilen nicht vor. Auch ein erneuter Sieg Hindenburgs würde nach meinem Dafürhalten nicht hinreichen, um eine solche Bereitwilligkeit zu erzeugen. Hinzutreten müßte wohl jedenfalls noch die Besetzung des größten Teils Polens durch uns, resp. Österreich. Wir würden dieses Faustpfand schon brauchen, um mit ihm eine Kriegsentschädigung durchzusetzen. Die würde dann wohl zum größeren Teil an Österreich fallen. Die Doppel-Monarchie ihrerseits würde außer der Kriegsentschädigung zweifellos einen Teil Serbiens für sich beanspruchen, einen anderen Teil Bulgarien zuschlagen wollen. Was mit der Türkei werden sollte, ist mir einst weiten noch nicht klar. Es würde wohl auf eine Verständigung mit Rußland über den status quo hinauslaufen.

Eine Initiative unsererseits würde, wenn sie erfolglos bliebe, uns von der gesamten Triple Entente als Schwäche ausgelegt werden und etwaige Friedensneigungen Frankreichs im Keime ersticken. General von Falkenhayn ist geneigt, alle diese Schwierigkeiten gering einzuschätzen, wobei der Wunsch für alle Fälle die Schuldfrage günstig zu regulieren, wohl mitspricht.



Quelle: Aus dem Schreiben des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Arthur Zimmermann vom 19. November 1914 über einen Separatfrieden mit Rußland als Voraussetzung für eine siegreiche Beendigung des Krieges, in André Scherer, u. a., Hg., L’Allemagne et les problèmes de la paix pendant la Première Guerre Mondiale. Documents extraits des archives de l’Office allemand des Affaires étrangères, publiés et annotés par André Scherer et Jacques Grunewald [Deutschland und Probleme des Landes während des Zweiten Weltkrieges. Dokumente aus den Archiven des Deutschen Amtes für Auswärtige Angelegenheiten. Herausgegeben und kommentiert von André Scherer und Jacques Grunewald], 4 Bände, Paris, 1962-78, Bd. I: Des Origines a la déclaration de la guerre sous-marine a outrance (août 1914-31 janvier 1917)[Die Ursprünge der Erklärung des uneingeschränkten U-Bootkrieges (August 1914 – 31. Januar 1917)], Dok. 13, S. 15 ff.

Abgedruckt in Willibald Gutsche, Herrschaftsmethoden des deutschen Imperialismus 1897/8 bis 1917. Berlin-Ost, 1977, S. 210-11.

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