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Österreichische Denkschrift (1863)

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III. Ohne Preußens bundesfreundliche Mitwirkung gibt es für die Aufgabe der Reorganisation des Bundes keinen definitiven Abschluß. Die preußischen Bundeslande umfassen ein Drittheil der deutschen Bevölkerung, sie erstrecken sich von den östlichen zu den westlichen Grenzen Deutschlands, die Bundesverträge geben Preußen ein Recht des Widerspruchs gegen jede tiefer greifende Neuerung. Preußens Wille kann daher die Reform der Gesammtverfassung Deutschlands factisch und rechtlich hindern. Um für die reine Negation in Deutschland das Feld zu behaupten, bedarf es nicht einmal der Größe und einflußreichen Stellung der preußischen Monarchie; selbst mindermächtige Staaten vermögen durch ihre bloße Enthaltung die sehnlichsten Wünsche, die lautersten Bestrebungen ihrer Bundesgenossen zu vereiteln. Preußens Veto hat jedenfalls diese verneinende Kraft. Wird es eingelegt, so kann sich der Bund in seiner Gesammtheit nicht aus seinem gegenwärtigen tiefen Verfalle erheben. Aber die Dinge sind in Deutschland so weit gediehen, daß ein absoluter Stillstand der Reformbewegung nicht mehr möglich ist, und die Regierungen, welche dies erkennen, werden sich zuletzt gezwungen sehen, die Hand an ein Werk der Noth zu legen, indem sie sich zur partiellen Ausführung der beabsichtigten Bundesreform im Bereiche der eigenen Staaten entschließen, und zu diesem Zwecke unter Wahrung des Bundesverhältnisses ihrem freien Bündnißrechte die möglichst ausgedehnte Anwendung geben.

Kann Preußen einer Eventualität entgegenzusehen wünschen, die eine so gänzliche Entfremdung von seinen deutschen Bundesgenossen in sich schließen würde? Es ist wahr, die Anschauungen Preußens über Beruf und Bestimmung des deutschen Bundes haben sich in den letzten Jahren nur zu sehr von denjenigen, welche oben dargelegt wurden, unterschieden. Wir blicken in eine Zeit zurück, in welcher nicht Kräftigung und Belebung des Bundesprincips, sondern dessen Zurückführung auf die Bedeutung eines bloßen – an sich unvollkommenen – Allianzverhältnisses als der leitende Gedanke der deutschen Politik Preußens hingestellt wurde. Allein die Ereignisse sind seitdem fortgeschritten, und vielleicht enthält ihr Gang für Preußen mehr als Einen ernsten Beweggrund, sich entschieden von Richtungen abzuwenden, welche zu keinem glücklichen Ziele geführt haben. Die Zukunft Deutschlands ist in ein gefährliches Dunkel gehüllt; durch Erinnerungen an die Vergangenheit hat der Kaiser Sich daher nicht abhalten lassen wollen, Seine Ansichten über die Mittel, den Blick in diese Zukunft aufzuhellen, vertrauensvoll Seinem erhabenen Verbündeten von Preußen mitzutheilen. Er zählt auf die Weisheit und die Gesinnungsgröße des Königs, dem unmöglich entgehen kann, wie ganz anders geachtet und gesichert Deutschland seinen Platz unter den Völkern einnehmen, in wie hohem Grade sein Einfluß und seine Machtstellung sich steigern würden, wenn die Verfassung des Bundes in erneuter und den Anforderungen der Zeit entsprechender Gestalt aus einer gemeinsamen Berathung und einem einmüthigen Beschlusse aller deutschen Fürsten hervorginge. Welche Erfahrungen auch die Folgezeit uns vorbehalten möge, dem Kaiser wird es stets zur Beruhigung gereichen, gegenüber dem Könige ausgesprochen zu haben, daß es heute von Preußens Entschließungen abhänge, den deutschen Bund wieder auf die Höhe seiner für die Nation und ihre Fürsten wie für Europa's Frieden so unendlich wichtigen Bestimmung zu heben.



Quelle: H. Schultheß, Europäischer Geschichtskalender, Jg. 4, 1863, S. 47ff.

Abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hg., Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, Band 2, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, dritte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1986, S. 135-39.

Wiedergabe auf dieser Website mit Erlaubnis des Kohlhammer Verlags.

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